Voraussetzungen für motorisches Lernen bei Patienten mit zerebellärer Ataxie.
Kognitive, systemische und Verhaltensneurobiologie
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Therapie der zerebellären Ataxie ist unverändert schwierig, auch wenn genetische Therapien für einen kleinen Teil der hereditären Erkrankungen in näherer Zukunft zur Verfügung stehen könnten. Im Vordergrund der Behandlung steht nach wie vor die Physiotherapie. In den letzten Jahren konnte erstmals eine Reihe von gut kontrollierten Studien belegen, dass Patienten mit zerebellären Ataxien von Physiotherapie profitieren. Anders als in der Therapie von Patienten nach zerebralen Schlaganfällen, gibt es unverändert nur wenige Informationen darüber, welche Art des Trainings bei welchen Untergruppen von Ataxie-Patienten zu einem größtmöglichen Erfolg führt, und wie man den Lernerfolg zusätzlich verbessern könnte. Hier hat das vorliegende Projekt angesetzt. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass langsame motorische Lernprozesse bei Patienten mit zerebellären Erkrankungen möglicherweise erhalten sind. Wir untersuchten mithilfe von Arm-Adaptationsexperimenten, unter welchen langsamen Lernbedingungen Patienten den größten Lernerfolg haben. Wir haben gefunden, dass die sehr häufige Wiederholung von Bewegungen („overlearning“) zu den besten Ergebnissen führt. Die Gedächtnisspur war jedoch nicht so stabil wie bei Gesunden (verminderte Resilienz). Unsere Hypothese ist, dass die Verbesserung durch häufige Wiederholung auf einem Lernvorgang beruht, der weniger oder nicht von der Funktion des Kleinhirns abhängt. Hier kommt insbesondere das sogenannte Use-dependent Learning („nutzungsabhängiges“ Lernen) in Frage. An diesem Lernvorgang ist wahrscheinlich der primär motorische Kortex wesentlich beteiligt, der bei reinen Kleinhirnerkrankungen nicht betroffen ist. Wenn Use-dependent Learning bei Ataxie-Patienten erhalten ist und ein Training mit sehr vielen Wiederholungen zu Verbesserungen führt, kann dies genutzt werden, um in Zukunft effektivere Therapiestrategien zu entwickeln. Andere Lernvorgänge, wie Belohnungslernen oder strategisches Lernen, könnten zusätzlich eine Rolle spielen. Ein weiteres Ziel unserer Untersuchung war zu überprüfen, inwieweit der Trainingserfolg durch die gleichzeitige Applikation einer nicht-invasiven Stimulation (transkranielle direkte Gleichstromstimulation, tDCS) des Kleinhirns oder sensomotorischer zerebraler Areale verbessert werden kann. Wir haben weder bei Patienten noch bei Gesunden eine Verbesserung von motorischen Lernvorgängen durch tDCS finden können. Diese negativen Ergebnisse lassen daran zweifeln, dass tDCS Effekte robust genug sind, um den Eingang in die Rehabilitation von Ataxie-Patienten zu finden. Unsere Ergebnisse sind ein erster Schritt für weiterführende Untersuchungen mit dem Ziel evidenz-basierte Kriterien für die Physiotherapie von zerebellären Ataxien zu entwickeln.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Cerebellar patients do not benefit from cerebellar or M1 transcranial direct current stimulation during forcefield reaching adaptation. J Neurophysiol. 2017 Aug 1;118(2):732-748
Hulst T, John L, Küper M, van der Geest JN, Göricke SL, Donchin O, Timmann D
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Effects of transcranial direct current stimulation on grip force control in patients with cerebellar degeneration. Cerebellum Ataxias. 2017 Sep 15;4:15
John L, Küper M, Hulst T, Timmann D, Hermsdörfer J
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Consensus Paper: Experimental Neurostimulation of the Cerebellum. Cerebellum. 2019 Jun 4
Miterko LN, Baker KB, Beckinghausen J, Bradnam LV, Cheng MY, Cooperrider J, DeLong MR, Gornati SV, Hallett M, Heck DH, Hoebeek FE, Kouzani AZ, Kuo SH, Louis ED, Machado A, Manto M, McCambridge AB, Nitsche MA, Taib NOB, Popa T, Tanaka M, Timmann D, Steinberg GK, Wang EH, Wichmann T, Xie T, Sillitoe RV
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How to help cerebellar patients make the most of their remaining learning capacities. Brain. 2019 Mar 1;142(3):492-495
Donchin O, Timmann D
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No effects of cerebellar transcranial direct current stimulation on force field and visuomotor reach adaptation in young and healthy subjects. J Neurophysiol. 2019 Jun 1;121(6):2112-2125
Mamlins A, Hulst T, Donchin O, Timmann D, Claassen J