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Rolle der Polysialinsäure bei der Migration cortikaler Interneurone und Untersuchungen zur gestörten Hirnentwicklung Polysialinsäure-defizienter Mäuse mittels konditionaler Deletion der St8sia2

Fachliche Zuordnung Entwicklungsneurobiologie
Kognitive, systemische und Verhaltensneurobiologie
Molekulare Biologie und Physiologie von Nerven- und Gliazellen
Förderung Förderung von 2015 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 269703561
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das neurale Zelladhäsionsmolekül NCAM und dessen Modifikation mit dem Zuckerpolymer Polysialinsäure (PolySia) sind wesentliche Faktoren der Hirnentwicklung. PolySia wird von den Polysialyltransferasen ST8SIA2 und ST8SIA4 synthetisiert, die unabhängig regulierten werden aber oft gemeinsam in denselben Zellen vorkommen. Bei Mäusen scheint ST8SIA2 vor allem in der Entwicklung wichtig, während ST8SIA4 im adulten Hirn dominiert. In St8sia2-/- Mäusen wurden Störungen der thalamocortikalen Konnektivität, verringerte Interneurondichten im medialen präfrontalen Cortex (mPFC), sowie Anzeichen für gestörte Migration aus den medialen Ganglienhügeln (MGE) in den sich entwickelnden Cortex festgestellt. Mit dem Ziel, die zellulären Mechanismen der ST8SIA2-abhängigen Interneuronentwicklung zu untersuchen wurde die Migration GFP-markierter Interneurone aus der MGE in den Cortex analysiert. Hochauflösende Zeitrafferaufnahmen der markierten Zellen in Schnittkulturen des embryonalen Vorderhirns zeigten zwar keine Unterschiede in der Geschwindigkeit, wohl aber eine deutlich reduzierte Persistenz der Migrationsrichtung und eine erhöhte Verzweigung der Leitfortsätze ST8SIA2-negativer Interneurone. Entsprechende Veränderungen konnten in embryonalen Schnittkulturen aus Mäusen mit einer Interneuron-spezifischen St8sia2-Deletion nachgewiesen werden (Lhx6-Cre;St8sia2f/f). Im Gegensatz zur Deletion der St8sia2 im Pallium (Emx1-Cre;St8sia2f/f), zeigten diese Mäuse im Alter von drei Monaten Reduktionen Parvalbumin-positiver Interneurone im vorderen Teil des Cortex, die weitgehend den Veränderungen in St8sia2-/- Mäusen entsprachen. Dies belegt, dass ST8SIA2 einen zellautonomen Effekt auf Migration und Verteilung cortikaler Interneurone ausübt. Eine vergleichende morphometrische Untersuchung der Interneurone in St8sia2- und St8sia4-knockout Mäusen ergab für beide Linien eine Reduktion in der Dichte Parvalbumin-positiver Synapsen auf Pyramidenzellsomata im mPFC. Somit dürfte der für beide Linien aus der Embryonalentwicklung resultierende Verlust von Basketzellen zu funktionellen Veränderungen der perisomatischen Inhibiton im mPFC führen. Ein weiterer Schwerpunkt des Projekts war die Analyse veränderter Axontrakte in Mäusen mit konditionaler Deletion der St8sia2 im Pallium (Emx1-Cre;St8sia2f/f) und/oder im Diencephalon (Foxb1-Cre;St8sia2f/f). Entgegen der Erwartung ließen sich die für St8sia2-/- Mäuse typischen Veränderungen der reziproken Verbindungen zwischen Thalamus und Cortex in keiner der konditionalen Knockout- Linien reproduzieren. Dagegen zeigten Emx1-Cre;St8sia2f/f Mäuse ein verkürztes Corpus callosum und eine Hypoplasie des postcommissuralen Fornix, während Foxb1-Cre;St8sia2f/f Mäuse Hypoplasien der Mammillarkörper und des mammillothalamischen Trakts aufwiesen, die jeweils auch in konstitutiven St8sia2-knockout Tieren detektiert werden konnten. Somit zeigen Mäuse mit cortikaler (Emx1-Cre) und diencephaler (Foxb1-Cre) Deletion der St8sia2 konvergente Veränderungen in der Verschaltung zwischen Hippocampus und den vorderen Thalamuskernen über Fornix und mammillothalamischem Trakt. Schädigungen dieser zentralen Elemente des Papez-Kreises können unter anderem zu Beeinträchtigungen des räumlichen Arbeitsgedächtnisses führen. Vor dem Hintergrund dieser neuropathologischen Charakterisierung wurde untersucht, ob eine der drei konditionalen Knockout-Linien Verhaltensveränderungen aufweist, die für konstitutiv St8sia2- defiziente Mäusen beschrieben wurden. Im Gegensatz zu St8sia2-/- zeigten die konditionalen Knockout-Linien keine Beeinträchtigungen der Präpulsinhibition oder des Lernverlaufs im T-Maze Test. Dagegen konnte für St8sia2-/-, Foxb1- und Emx1-Cre;St8sia2f/f Mäuse jeweils eine erhöhte Aktivität im Open Field Test nachgewiesen werden. Wie zu erwarten, war auch die durch den NMDA- Rezeptorantagonisten MK-801 induzierte Hyperlokomotion in St8sia2-/- Mäusen zusätzlich erhöht. Überraschenderweise zeigten Foxb1- und Emx1-Cre;St8sia2f/f Mäuse hier einen entgegengesetzten Effekt. Vorläufige Befunde deuten darauf hin, dass sich dies durch eine erhöhte Sensitivität gegenüber MK-801 induzierten Effekten erklären lässt, die dazu führt, dass Hyperlokomotion in stereotypes Verhalten umschlägt. Dies wiederum führt zu der Vermutung, dass einseitige cortikale oder diencephalische Defekte, wie z.B. der Afferenzen (Fornix) oder Efferenzen der Mammillarkörper (mammillothalamischer Trakt), zu stärkeren Verhaltensstörungen führen, als beidseitig auftretende Störungen. Um dem nachzugehen sind weitere Verhaltensversuche mit reduzierten MK-801 Konzentrationen und unter Einbeziehung von Emx1-Cre;Foxb1-Cre;St8sia2f/f Doppel-knockout Mäusen geplant.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2016) Deficits of olfactory interneurons in polysialyltransferase- and NCAM-deficient mice. Dev Neurobiol 76 (4):421-433
    Röckle I and Hildebrandt H
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1002/dneu.22324)
  • (2017) Polysialylation at early stages of oligodendrocyte differentiation promotes myelin repair. J Neurosci 37(34):8131– 8141
    Werneburg S, Fuchs HLS, Albers I, Burkhardt H, Gudi V, Skripuletz T, Stangel M, Gerardy-Schahn R, Hildebrandt H
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI.1147-17.2017)
  • (2017) ST8SIA2 promotes oligodendrocyte differentiation and the integrity of myelin and axons. Glia 65 (1):34-49
    Szewczyk LM, Nagalski A, Brozko N, Sawicka K, Werneburg S, Röckle I, Hildebrandt H, Wisniewska MB, Kuznicki J
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1002/glia.23048)
  • (2019) Effects of the genetic depletion of polysialyltransferases on the structure and connectivity of interneurons in the adult prefrontal cortex. Front Neuroanat 13:6
    Curto Y, Alcaide J, Röckle I, Hildebrandt H, Nacher J
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3389/fnana.2019.00006)
  • (2019) Transgenic overexpression of polysialyltransferase ST8SiaIV under the control of a neuron-specific promoter does not affect brain development but impairs exploratory behavior. Glycobiology, e-pub ahead of print: May 30
    Fewou SN, Röckle I, Hildebrandt H, Eckhardt M
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1093/glycob/cwz040)
 
 

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