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Indikatoren territorialer Herrschaft im Norden? Interdisziplinäre Grundlagenforschung zum frühen Königtum in Skandinavien am Beispiel der Huseby-Orte

Antragsteller Dr. Thorsten Lemm
Fachliche Zuordnung Ur- und Frühgeschichte (weltweit)
Förderung Förderung von 2015 bis 2017
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 269833740
 
Erstellungsjahr 2017

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Im Rahmen des Projektes wurden insgesamt 128 Orte mit den Namen Huseby, Husby, Husaby o. ä. in Norwegen, Schweden und Dänemark untersucht, deren Namen auf ein ursprüngliches *Húsabýr („Dorf/Siedlung der Häuser“) zurückgehen. Sie liefern Hinweise auf eine besondere Art von Siedlung, die hierarchisch oberhalb von gewöhnlichen Höfen einzustufen ist. In der Forschung wird seit langem vermutet, dass diese Orte auf königliche Initiative hin in der Wikingerzeit oder den anschließenden Jahrhunderten etabliert wurden und ein Netz aus sekundären königlichen Orten neben den eigentlichen Königshöfen darstellten. Des Weiteren herrscht die Auffassung vor, dass es sich bei den fraglichen Orten um ehemalige Häuptlingssitze handele, die von einem erstarkenden König konfisziert worden seien. Die vorliegende Untersuchung hat sich erstmals allen skandinavischen Huseby-Orten gewidmet und dabei eine umfangreiche archäologisch-interdisziplinäre Kontextanalyse der Höfe und ihrer Umgebung (in einem Radius von 3 km) vorgenommen, unter Einbeziehung archäologischer Fundstellen der jüngeren Eisenzeit (ca. 600–1100 n. Chr.) und des Mittelalters sowie aussagekräftiger Ortsnamen und mittelalterlicher Kirchen. Nur auf einer solchen empirischen Basis ist es möglich, fundierte Aussagen zu den thematisierten Höfen zu treffen. Die Huseby-Namen sind ohne Zweifel das Produkt einer standardisierten Ortsnamengebung, für die es im Norden aus der Zeit nach 1000 weitere Belege gibt und hinter der üblicherweise eine Zentralgewalt vorausgesetzt werden darf. Allerdings erbringt die kulturhistorische Kontextanalyse überraschenderweise keinen Hinweis auf einen gemeinsamen Nenner der gleichnamigen Orte. Stattdessen lassen sich drei Huseby-Typen unterscheiden: Ein Viertel der Husebyer weist herausragende Denkmale bzw. Einzelfunde am Ort selbst auf, die als Hinweise auf alte, vermutlich tatsächlich konfiszierte Zentralorte aufzufassen sein dürften. Daneben findet sich ein weiteres Viertel an Huseby-Höfen, die in der Nachbarschaft einstiger Zentralplätze lagen. Mehr als die Hälfte aller Husebyer jedoch liefert keinerlei Hinweise auf ältere Zentralplätze am Ort, in der Nachbarschaft oder in der jeweiligen Siedlungskammer. Dieses empirische Ergebnis wirft ein völlig neues Licht auf das bisherige von der Forschung skizzierte Bild der Husebyer, denn neben der Etablierung solcher Orte als Nachfolger von oder in der Nachbarschaft zu alten Zentralhöfen sind zum überwiegenden Teil mittelalterliche Neugründungen in zuvor unbedeutenden Kleinregionen zu verzeichnen. Als besonderer Erfolg der Analysen darf zudem die Schlussfolgerung gewertet werden, dass es sich bei elf norwegischen Orten höchstwahrscheinlich nicht um „echte“ Husebyer handelt und sie folglich von zukünftigen Überlegungen auszuschließen sind. Auf der Basis des aktuellen Forschungsstands gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Huseby-Orte generell frühestens ab dem 11. Jahrhundert in einem Zeitraum mit gestärkten nordischen Königtümern eingerichtet wurden. Die Funktionalität betreffend verweist der Ortsname auf einen Hof mit mehreren Gebäuden. Das Hauptgebäude mag als Sitz eines königlichen Verwalters anzusehen sein. Die Frage zur Funktion der Höfe ist auf das engste mit den weiteren Gebäuden vor Ort verbunden; es könnte sich dabei z. B. um Unterkünfte für König und Gefolgschaft auf Reisen oder um Speichergebäude für eingetriebene Steuern handeln. Auf Schriftzeugnisse kann bei den Analysen nur in Einzelfällen zurückzugegriffen werden, da Schriftlichkeit der nordeuropäischen Königtümer im Wesentlichen erst nach Auslaufen der Husebyer einsetzte. Deshalb werden konkrete Erkenntnisse zu Funktion und Datierung der Höfe nur auf dem Wege zukünftiger archäologischer Untersuchungen vor Ort zu erbringen sein. Im Rahmen dieser Studie wurden darum jene Huseby-Orte ermittelt, die sich für erfolgreiche zukünftige Feldforschungen eignen. Der Grundstein für weitere archäologische Schritte in der Erforschung des Huseby-Phänomens ist damit gelegt.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Excavations and surveys – Husby in Glanshammar, Huseby in Tjølling, Huseby in Värend and Husby in Anglia. In: L.E. Christensen/Th. Lemm/A. Pedersen (eds.). Husebyer ‒ status quo, open questions and perspectives. Copenhagen 2016, 71–89
    Th. Lemm
  • Husebyer ‒ status quo, open questions and perspectives. Papers from a workshop at the National Museum Copenhagen 19–20 March 2014. Publications from the National Museum. Studies in Archaeology & History, Vol. 20:3 Jelling Series (Copenhagen 2016)
    L.E. Christensen/Th. Lemm/A. Pedersen (eds.)
  • The Flensburg inlet in the Viking Age – a neglected maritime cultural landscape. In: B. V. Eriksen/A. Abegg-Wigg/R. Bleile/U. Ickerodt (Hrsg.), Interaktion ohne Grenzen. Beispiele archäologischer Forschungen am Beginn des 21. Jahrhunderts. Interaction without borders. Exemplary archaeological research at the beginning of the 21st century (Schleswig 2017) 631–647
    Th. Lemm/S. Kalmring
  • Auf der Suche nach dem Hof des königlichen Statthalters – Ergebnisse systematischer Detektorbegehungen in Husby, Kreis Schleswig-Flensburg (Schleswig-Holstein). In: V. Hilberg/Th. Lemm (Hrsg.), Viele Funde – große Bedeutung? Potenzial und Aussagewert von Metalldetektorfunden für die siedlungsarchäologische Forschung der Wikingerzeit. Bericht des 33. Tværfaglige Vikingesymposiums, 9. Mai 2014, Wikinger Museum Haithabu. Kiel : Ludwig 2018
    Th. Lemm
 
 

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