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Jenseits des Naturalismus: Von der Perzeption zur Rezeption des Klimawandels im Verständnis der Lokalbevölkerung Kubas

Fachliche Zuordnung Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung Förderung von 2015 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 273376118
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt hat die Rezeption des Klimawandels auf Kuba untersucht und erstens eine durch den spezifischen politischen und staatlich-medialen Kontext geprägte offizielle, zumeist sachliche, technisch-materielle Rezeption des Klimawandels festgestellt. Gleichzeitig existieren in den prosperierenden afro-kubanischen Religionen ontologische Konzeptionen, welche „Umwelt“ und „Natur“, in eine von machtvollen Divinitäten (Orishas) beeinflusste soziale Dimension miteinschließen, ohne eine naturalistische Trennung von Natur und Kultur, von Sozialem und Nicht-Sozialem vorzunehmen. Die zentrale Frage des Projektes war, wie Klimawandelfolgen in den nicht-naturalistischen afro-kubanischen Weltkonzeptionen der Regla de Ocho und der Regla de Ifá konzepiert werden, ob und welchen Einfluss sie finden. Es wurde festgestellt, dass naturalistische und nicht-naturalistische Weltkonzeptionen ko-existieren, und Anhänger der Religionen zwischen beiden Systemen ohne Widersprüche switchen, ein Klimasynkretismus, als Ausdruck der Durchdringung und Mischung der beiden Konzeptionen allerdings noch in den Kinderschuhen steckt. Die afrokubanische Ifá- und Ocha-Religion beginnen gerade erst den Klimawandel, für den kein Äquivalent in der religiösen Weltkonzeption besteht, in ihre Zustandsbeschreibung der Welt einzubauen. Während charakteristische Umweltfaktoren für die naturwissenschaftliche Diagnose des Klimawandels über lange Zeiträume registriert und statistisch bewertet werden, fokussiert die Religion auf Einzelereignisse, ordnet diese in die existierende Kategorisierung der Welt ein und ermittelt vor diesem Hintergrund ihre Spezifität. So enthalten Ifá-Jahresorakel Vorhersagen über Umweltgeschehnisse, wie Sturmfluten, Hitzeperiode, Dürre, etc., die aber nicht als Folge des Klimawandels gelten, sondern als Folgen und Handlungen menschlicher und nicht-menschlicher Wesenheiten, die jeweils nur für ein Jahr im Kontext der religiösen Kosmologie prognostiziert werden. Die Ocha und Ifá Weltkonzeptionen sprengen das klassische Schema unterschiedlicher Ontologien von Descola und weisen sowohl zentrale analogistische wie homologistische Aspekte auf und bewirkt, dass Gottheiten, Orakelzeichen, Menschen und Nicht-Menschen denselben Regeln und ethischen Vorgaben unterworfen sind. Vor diesem Hintergrund sind Umweltereignisse nie nur Naturereignisse. Der Einbau von Klimawandelphänomenen in die religiöse Logik führt jedoch nicht zur Übernahme wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erklärungsmodelle, sondern zu einem inzipienten Klimasynkretismus, der Umweltereignisse und die mediale Berichterstattung an die Bedeutungsinhalte von Orakelzeichen und an die personifizierten Naturgewalten von Oricha-Gottheiten insofern herangeführt, als deren Bedeutungsgehalt erweitert wird, indem latent vorhandene Dimensionen, neue Relevanz und eine erweiterte Bedeutung erlangen. In dem Maße, wie nun die staatliche kubanische Klimaoffensive „tarea vida“ seit 2017 für mehr Öffentlichkeit zum Klimawandel sorgt, lässt sich beobachten, wie Priester den Bedeutungshorizont aller 256 Orakelzeichen daraufhin überprüfen, wie ihnen der Klimawandel zugeordnet werden kann. Ein solch hermeneutisches Prozedere wurde in der Geschichte der Religion schon bei anderen Neuerungen angewandt und mithilfe von Analogiebildungen vollzogen. Dahinter existieren weiterhin weitreichende Unterschiede in der Weltkonzeption, mit denen die Religion und ihre Vertreter auf spezifische Weise umgehen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Klimawandel und Kultur: Annäherungen an ein aktuelles kulturanthropologisches Thema. In: Curare 38 (4): 282-290
    Lioba Rossbach de Olmos
  • Orakel-App. Der Einzug des Smartphones in die afrokubanische Divination. In: Paideuma: 63: 67-88
    Lioba Rossbach de Olmos
  • Das kubanische Ifá-Orakel oder die geschriebene mündliche Tradition. In: Bieker, Ulrike et al. (Hg.): Ich durfte den Jaguar am Waldrand sprechen: Festschrift für Mark Münzel zum 75. Geburtstag, Marburg/Lahn: Curupira, S. 119-138
    Lioba Rossbach de Olmos
  • Afroamerikanische Religionen und Vorstellungen von der Schöpfung. In: Elisabeth Steffens und Klaus Vellguth (Hg.) Wir sind nur Gast auf Erden: Lateinamerikanische Schöpfungsspiritualität im Dialog. Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag
    Lioba Rossbach de Olmos
  • Manejando incompatibilidades: El sistema de adivinación de ifá y el cambio climático en Cuba: In: Anthropos: Internationale Zeitschrift für Völkerund Sprachenkunde 114/1
    Lioba Rossbach de Olmos
    (Siehe online unter https://doi.org/10.5771/0257-9774-2019-1-33)
 
 

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