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Diversifizierung von Mental Health - Therapeutische Orte des brasilianischen Spiritismus

Antragstellerin Professorin Dr. Helene Basu
Fachliche Zuordnung Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung Förderung von 2015 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 273588344
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt untersuchte die Frage, wie spiritistische Orte in Brasilien und Deutschland durch Sinnesarbeit geschaffen werden und wie diese Prozesse und Praktiken des Heilens affektiver Leiden zur Diversifizierung der global zirkulierenden Agenda von Mental Health beitragen. Es situierte sich im Schnittfeld von Medizinanthropologie und Religionsethnologie in Konzentration auf den Bereich der trans/kulturellen Psychiatrie. Ausgehend vom Begriff der Diversifizierung wurde nach der Arbeit der Sinne in einer psychiatrisch-spiritistischen Klinik und einem kardecistischen Zentrum in Brasilien sowie in einem gemeinsam von brasilianischen Migrantlnnen und Deutschen frequentierten kardecistischen Zentrum in Deutschland gefragt. Das Konzept der „Ästhetiken des Heilens" eröffnet u.a. neue analytische Perspektiven auf die verkörperte Natur des Bewusstseins im Rahmen einer sich herausbildenden, multi-disziplinären Anthropologie der Sinne / sensorischen Ethnografie. Dieser Ansatz leitete die theoretische Orientierung dieses Projekts. Ethnologische und andere Forschungen zeigten, dass das menschliche Sensorium nicht nur biologisch­physiologisch gegeben ist, sondern ebenso kulturell produziert und sozial konstruiert wird. Studien zu Strukturierung und Wahrnehmung physisch-sozialer Räume hoben den Einfluss leiblicher und sinnlicher Praktiken und Erfahrungen hervor, in denen Wissen, Erinnerung und Imagination in Interaktion mit multi­ sensorischen Umgebungen körperlich verräumlicht (emplacement) werden. Die doppelte Funktion der Sinne als Medien der Erfahrung und der symbolischen Bedeutung spielt in kulturell variierenden sozialen Ordnungen und Bestimmungen des Anormalen eine signifikante Rolle, die im Hinblick auf Grenzen und Vermischungen von psychiatrischen, religiösen bzw. spirituellen Klassifikationen des Pathologischen mit den Methoden der Ethnografie untersucht wurden. Das Projekt ging von der These aus, dass Prozesse der Diversifizierung im Bereich Mental Health Sinnesarbeit und emplacement involvieren, wodurch hybride, sozial und kulturell lokalisierte therapeutische Räume geschaffen werden. Damit wurde ein eigenständiger ethnologischer Beitrag im interdisziplinären Feld der trans/kulturellen Psychiatrie geleistet, der sowohl auf vertieftes und erweitertes Wissen der Erfahrungen sozio-psychischen Leidens und seiner Behandlung zielte als auch auf die reflexive Anwendung der gewonnen Erkenntnisse in der therapeutischen Versorgung und anderen gesellschaftspolitischen Bereichen. Komplementär zur sinnlich-ästhetischen Analyseebene stellen Heilungskooperationen einen zentralen Aspekt der Diversifizierung und Hybridisierung medizinischer Diskurse dar. Relevant dafür sind globale Zirkulationen biomedizinischer und alternativer Praktiken des Heilens in transnationalen Räumen, die sich sowohl aus globalen Migrationsbewegungen speisen als auch aus der Suche nach Gesundheit von PatientInnen und Heilungsmethoden von Professionellen, die das Angebot staatlicher Gesundheits- und Fürsorgesysteme für nicht ausreichend erachten. Dies gilt auch für die psychiatrische Gesundheitsversorgung, die einer zunehmenden Ökonomisierung unterliegt. Hier erweist sich die transnationale Bewegung des brasilianischen Spiritismus als Nährboden spirituell unterfütterter Initiativen und Gegenentwürfe zu nationalen Gesundheitspolitiken in Brasilien und Deutschland und zu Profitbestrebungen im Gesundheitsmarkt.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2015): 'Depression is not a Disease. It is a Spiritual Problem.' - Performance and Hybridization of Religion and Science within Brazilian Spiritist Healing Practices. Curare 38(3): 173-191
    Kurz, Helmar
  • (2017): Diversification of Mental Health Care - Brazilian Kardecist Psychiatry and the Aesthetics of Healing. Curare 40(3): 195-206
    Kurz, Helmar
  • (2018): Affliction and consolation: mediumship and obsession as explanatory models within Brazilian Kardecist mental health care. In: Nunes, Monica & Tiago Pires Marques [eds]: Legitimidades da loucura: sofrimento, luta, criatividade e pertença. Salvador: EDUFBA. 129-154
    Kurz, Helmar
  • (2018): Transcultural and Transnational Transfer of Therapeutic Practice: Healing Cooperation of Spiritism, Biomedicine, and Psychiatry in Brazil and Germany. Curare 41(1+2): 36-50
    Kurz, Helmar
 
 

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