Pioniere des Digitalen. Die Hacker- und Mailboxszene der 1980er Jahre
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt hat das Ergebnis, dass sich die westdeutsche Hacker- und Mailboxszene in einen längerfristigen Aushandlungsprozess einordnen lässt, in dem über die Verwendung von Computern als Kommunikationsmedien verhandelt wurde. Dieser Prozess wurde seit den 1960er Jahren zunächst durch einen Interessenkonflikt zwischen den weltweit von staatlichen Monopolen dominierten Telekommunikationssektoren und einer zunehmend selbstbewusst auftretenden, wettbewerbsorientierten Datenverarbeitungsindustrie geprägt. Obwohl seit dem Ende der 1960er Jahre bekannt war, dass über Telekommunikationsnetze verbundene Computer ein neuartiges und potenziell revolutionäres Kommunikationsmedium sein können, verhinderte dieser Interessenkonflikt die Nutzung dieses neuartigen Mediums im größeren Umfang. Erst, als der Konflikt in den USA zu Beginn der 1980er Jahre mit einer stärkeren Wettbewerbsorientierung des Telekommunikationssektors beigelegt wurde, konnte sich dort der Computer als Kommunikationsmedium durchsetzen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich mit der Verbreitung von preisgünstigen Heimcomputern die ökonomischen Grundlagen der Technologie allerdings grundlegend gewandelt. Neben kommerziellen Onlinediensten wie CompuServe (ab 1979) oder AOL (ab 1985, zunächst als Q-Link) schlossen daher auch eine Reihe von privaten Heimcomputerbesitzern ihre Geräte an das Telefonnetz an und ermöglichten einen dezentralen und nicht kommerziellen Austausch von Informationen. Im Laufe der 1980er Jahre entstand so in den USA ein vielfältiger und weitgehend unregulierter digitaler Kommunikationsraum. Die Entwicklung in den USA hatte auch Auswirkungen auf die Bundesrepublik. Die Nutzung von Computern als Kommunikationsmedium wurde seit 1976 von der Bundespost als zentraler und bundesweit einheitlicher „Bildschirmtext“ geplant, verzögerte sich aber aufgrund von medienpolitischen Auseinandersetzungen bis Anfang der 1980er Jahre. Parallel zu dieser Entwicklung wurde der Telekommunikationssektor von der Bundesregierung als Instrument der Industriepolitik entdeckt. Mit der ab 1982 geplanten Digitalisierung des Telefonnetzes („ISDN“) sollte die Wettbewerbsfähigkeit der westdeutschen Datenverarbeitungs- und Telekommunikationsindustrie verbessert werden. In der Bundesrepublik gab es daher, zwischen Btx und ISDN, in der ersten Hälfte der 1980er Jahre nur wenige Freiräume, in dem mit Heimcomputern als Kommunikationsmedien experimentiert werden konnte. Dies wurde, mit Blick auf die liberale Situation in den USA, von der westdeutschen Hacker- und Mailboxszene kritisiert. Erst, als ab Mitte der 1980er Jahre ordnungspolitische Argumente und damit Wettbewerb in der Reformdebatte die Oberhand gewannen, änderte sich dies. Da der bundesdeutsche Telekommunikationssektor ab 1989 durch Reformen den amerikanischen angeglichen wurde, entstanden auch hier Freiräume für Computer als neuartige Kommunikationsmedien. Ab Mitte der 1990er Jahre konvergierten die Entwicklungen von Datennetzwerken und der digitale Kommunikationsraum der „Modemwelt“ dann in das Internet, das seitdem als einheitliche und universelle digitale Kommunikationsinfrastruktur zum Inbegriff einer medialen Revolution wurde.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Die neue Heimat des Geistes. Computer als Kommunikationsmittel und die Entstehung des "Cyberspace", 1969 bis 1996, in: Zeitgeschichte in Hamburg (2016), S. 65–81
Matthias Röhr
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Home computer on the line. The West German BBS scene and the change of telecommunications in the 1980s, in: Media in Action 1 (2017), H. 1, S. 115–129
Matthias Röhr
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Gebremste Vernetzung. Digitale Kommunikation in der Bundesrepublik der 1970er/1980er Jahre, in: Frank Bösch (Hrsg.), Wege in die digitale Gesellschaft. Computernutzung in der Bundesrepublik 1955-1990, Göttingen 2018, S. 250–271
Matthias Röhr