Detailseite
Projekt Druckansicht

Muezzine, Fluglärm, Touristification & mehr. Vorstudie zu aktuellem bürgerschaftlichem Protest in der lokalen räumlichen Planung in Berlin

Fachliche Zuordnung Städtebau/Stadtentwicklung, Raumplanung, Verkehrs- und Infrastrukturplanung, Landschaftsplanung
Förderung Förderung von 2015 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 275315564
 
Erstellungsjahr 2017

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Operatives Ziel des als explorative Vorstudie konzipierten Forschungsvorhabens war es, Methoden, Feldzugänge und Umfänge zu überprüfen und weiterzuentwickeln, Fragestellungen und Hypothesen zu präzisieren sowie den Aufwand und mögliche Erträge abzuschätzen. Hierzu wurden die inhaltlichen Fragestellungen mit einem Mix aus quantitativen, qualitativen und partizipativen Methoden anhand eines räumlich auf Berlin eingegrenzten Untersuchungsrahmens „testweise“ untersucht. Trotz des explorativen Charakters und methodologischen Schwerpunkts konnten erste empirische Ergebnisse erzielt werden, die dazu genutzt wurden, das Erkenntnisinteresse der Hauptstudie durch Thesenbildung weiterzuentwickeln. Inhaltlich geht es um eine erstmalige empirische Erfassung des planungsbezogenen stadtpolitischen bürgerschaftlichen Protestgeschehens 2005 und seine Analyse. Daraus sollen Beiträge zur Ergänzung der häufig verknüpften, teilweise widersprüchlichen planungstheoretischen Diskurse um Partizipation, Konflikt und Macht abgeleitet werden. Im Rahmen der Vorstudie wurden parallel fünf quantitative Erhebungen konzipiert, durchgeführt, kontinuierlich weiterentwickelt und statistisch ausgewertet (erweiterte Protestereignisanalyse, 1.034 Artikel; Polizeidatenanalyse, 656 Datensätze; Internetanalyse, 1.366 Seiten; Telefon- und Onlinebefragungen mit 42 lokalen Akteuren; dreitätige Raumbeobachtung). Die Falldaten wurden in einer projektspezifischen Datenbank zur gemeinsamen Datenauswertung zusammengefasst und statistisch ausgewertet. Teildaten wurden georefferenziert und eine vorläufigen Typologie erstellt. Sie diente auch zur Auswahl zweier qualitativer Fallstudien, die aus Dokumentenanalysen, unterschiedlichen Experteninterviews und Begehungen bestanden. Im Ergebnis entstanden paarweise chronologische Analysen der Protest- und Planungsprozesse. Die empirischen Ergebnisse wurden zu einem ausführlichen Thesenpapier weiterentwickelt. Gerahmt wurde die Empirie durch eine Beteiligung der beforschten Planungs- und Protestakteure im Rahmen einer Onlinebefragung zu Beginn und einem Abschlussworkshop. Zusätzlich wurden die Erkenntnisse in einem wissenschaftlichen Kolloquium diskutiert. Begleitend wurde der Methodeneinsatz getestet, reflektiert und weiterentwickelt. Insbesondere die beiden Veranstaltungen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass der dem sozialwissenschaftlichen Diskurs entlehnte wertfreie und politische Protestbegriff bestätigt werden konnte. Im Rahmen der quantitativen Erhebung ließen sich 497 planungsbezogene stadtpolitische Proteste in Berlin im Zeitraum 2005 bis Mitte 2015 mit ausreichender Datengrundlage erfassen. Für 149 direkt planungsbezogene Proteste wurde im Rahmen einer Clusteranalyse eine vorläufige, ortsspezifische Typologie entwickelt. Planungsbezogene stadtpolitische Proteste sind aktuell mehrheitlich geprägt durch einen vorhabenbezogenen Hauptanlass. Sie stellen sich aber deutlich heterogener dar, als bislang gemeinhin angenommen wird: Träger/innen des Protests sind nicht „Betroffene“, sondern auch Stellvertreter/innen und Vertreter/innen öffentlicher Belange. Sie artikulieren aufgrund unterschiedlicher Anlässe eine Vielzahl unterschiedlicher Anliegen. Der Protestbeginn ist nicht auf bestimmte Verfahrensschritte begrenzt und neben einer Vielzahl kleinteiliger, auf Bezirksebene und darunter angesiedelte Proteste, bestehen auch solche, die gesamtstädtische Forderungen artikulieren. Auch bestehen erste Hinweise darauf, dass die Träger/innen aktueller Planungsproteste weder im herkömmlichen Sinne depriviert sind noch Milieus entstammen, die bislang durch eine hohe Protestneigung aufgefallen sind. Insbesondere die Fallstudien deuten auf erste Ergebnisse zu Verläufen und Interaktionen hin: Planungsbezogener stadtpolitischer Protest ist kein singuläres Ereignis, sondern findet als politische Strategie innerhalb eines besonderen politischen Kontext statt und wird teilweise mit anderen Formen der politischen Partizipation im Rahmen eines Mehrkanalansatzes lokaler Governance kombiniert. Dabei ist seine Entstehung von der jeweiligen politischen Möglichkeitsstruktur einschließlich der Handlungsfähigkeit kommunaler Planungsinstitutionen und den Ressourcen der potentiellen Protestakteure abhängig. Planungsakteure reagieren situationsabhängig und in der Regel mit einem Beteiligungsangebot, das die eigenständige Partizipationsform durch eine stärker formalisierte Form ersetzen soll. Erste thesenhafte planungstheoretische Erkenntnisse zeigen, dass die Analyse planungsbezogener Protestphänomene und der zugrundeliegenden Prozesse die bestehenden planungstheoretischen Ansätze zu Partizipation, Konflikt und Macht an einer zentralen Schnittstelle ergänzen und verbinden kann. Sie zeigt die Heterogenität partizipativer Strategien unterschiedlicher Akteure und die daraus resultierende Reaktivität von Planungsakteuren, betont die teils immanente Konflikthaftigkeit des Planungshandelns und führt zu einer Betonung von Interessen und weiteren Machtaspekten einschließlich ihrer Abhängigkeit von der planerischen Handlungsfähigkeit. Hinzu kommt die Weiterentwicklung eines planungswissenschaftlichen Protestbegriffs und ein erstes Modell zur graduellen Bewertung des Planungsbezugs von stadtpolitischen Protesten in vier Stufen (direkt, verfahrensbezogen, inhaltsbezogen, lose).

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2015): „A peaceful path“, but no „real reform“? In: F. Othengrafen/M. Sondermann (Hg.): F. Othengrafen/M. Sondermann (Hg.): Städtische Planungskulturen. Berlin
    Bertram, G.
  • (2016): Postdemokratischer Protest? Anlässe und Trägerschaften städtischer Protests. In U. Bitzegeio/J. Mittag/L. Winterberg (Hg.): Der politische Mensch. Bonn, S. 75-110
    Bertram, G.
  • (2016): „Postdemokratischer Protest? Anlässe und Trägerschaften aktueller städtischer Proteste.“ In: Ursula Bitzegeio, Jürgen Mittag und Lars Winterberg (Hg.): Der politische Mensch - Akteure gesellschaftlicher Partizipation im Übergang zum 21. Jahrhundert. Bonn: Dietz Verlag. S. 75-110
    Bertram, G.
  • (2017): „Kampf um die Städte? Protest in der lokalen Demokratie“; In: Kemper, Jan (Hg.): „Stadt und Gesellschaft“. Online-Dossier. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung
    Bertram, G; Altrock, U.
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung