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Überschneidungen und Abgrenzungen in Raum und Zeit. Der literarische Diskurs der Prager Moderne(n)

Fachliche Zuordnung Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Förderung Förderung von 2015 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 276124864
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt leistete einen Beitrag zu einer vergleichenden Betrachtung der deutsch- und tschechischsprachigen Literatur und Kultur Prags um 1900 und zu Beginn des 20. Jh. im Hinblick auf Austausch- und Abgrenzungsprozesse. Den Bezugsrahmen bildet dabei materialiter die Stadt Prag, die aber in den verschiedenen kollektiven Identitätsdiskursen unterschiedliche symbolische Zuschreibungen erhält. Hinzu kommt die jeweilige Situierung mit Blick auf die die Zeit prägenden zivilisatorischen Modernisierungsprozesse, wobei die Reaktionen sich in einem breiten Spektrum bewegen: von Affirmation über kritische Reflexion, die häufig in eine krisenhafte Zeitdiagnose mündet, bis hin zu Ablehnung. Äußerungen des literarischen Diskurses im weitesten Sinne, also literarische, literatur- und kulturkritische Texte der Zeit, setzen – so die Grundannahme – auf explizite oder implizite Weise die eigene (Prager, deutsch-Prager, tschechisch-Prager oder auch böhmische) Position zum Phänomen der Moderne in Beziehung. Der im Projekttitel in Klammern gesetzte Plural der Prager Modernen markiert insofern die Frage, ob sich von einer spezifisch Pragerischen Ausprägung der Moderne sprechen lässt oder ob dort heterogene, nicht unbedingt jedoch entlang der nationalen Zugehörigkeit zu differenzierende Moderne-Auffassungen nebeneinander existierten. Im Rahmen dieses Forschungshorizonts wurden konkret die folgenden Studien betrieben, die sich schwerpunktmäßig den Grundkategorien Raum bzw. Zeit widmeten: Ulrike Mascher untersuchte in einem Monographieprojekt deutsch- und tschechischsprachige Prosatexte der Moderne auf ihre jeweiligen raumsemantischen Entwürfe und analysierte, wie die Stadt Prag bzw. die Stadt-Imago Prags in ihnen modelliert und zu individuellen oder kollektiven Identitätsentwürfen ins Verhältnis gesetzt wird. Aufbauend auf genaue Textdurchgänge im close reading-Verfahren werden deutsch- und tschechischsprachige Werke vergleichend aufeinander bezogen, wodurch bis dahin ungeahnte Parallelen und Bezüge aufgezeigt werden können. In der Gesamtschau auf Texte, in denen Stadttext und Selbstbild eine enge Verflechtung eingehen, zeigt sich so ein vielgestaltiger und vielstimmiger Prag-Text. Daniel Vojtěch trieb während eines Aufenthalts als Mercator-Fellow an der Universität Tübingen sein längerfristiges Buchprojekt zu Vertretern des sog. kritischen Modernismus in Prag voran, die – geprägt von einem Gefühl der Diskontinuität in der modernen Zeit – herkömmlichen wie auch fortschrittsorientierten Modellen (epistemologischer, wissenschaftlicher, religiöser, politischer oder ethischer Art) mit Skepsis gegenübertraten. Die Kernfrage der Untersuchung lautet, ob und in welchem Maße die in Prag zu beobachtenden Austauschbewegungen, aber auch Spannungen und Polemiken zwischen deutsch- und tschechischsprachigen kulturellen Akteuren dabei Impulse für die Entwicklung einer spezifischen Prager Variante der (kritischen mitteleuropäischen) Moderne gaben. Die Forschungsarbeit in Tübingen konzentrierte sich dabei zum einen auf Parallelen zwischen den gesellschafts- und moralreformerischen Ansätzen Josef Popper-Lynkeus’ und T. G. Masaryks, zum anderen auf den Stellenwert psychologischer Verfahren in der wissenschaftlichen Betrachtung wie auch in der Produktion von Literatur des beginnenden 20. Jahrhunderts. Irina Wutsdorff fertigte mehrere Einzelstudien zum Expressionismus an: Mit diesem Begriff wurden bereits im Untersuchungs-(zeit-)raum einerseits häufig Werke der Vertreter der sog. Prager Deutschen Literatur bezeichnet, andererseits trat die tschechische Literární skupina (Literarische Gruppe) selbst unter diesem Etikett in Erscheinung, grenzte sich dabei von der deutschsprachigen Variante aber durchaus ab. In der rückblickenden Konzeptualisierung stammt von Jindřich Chalupecký der Versuch, gerade die Einzelgänger der tschechischen und deutschsprachigen Literatur Böhmens wie Richard Weiner, Ladislav Klíma und Franz Kafka unter diesem Stichwort zu vereinen, um eine spezifisch mitteleuropäische Variante der Moderne zu charakterisieren.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Prager Figurationen jüdischer Moderne, Themenschwerpunkt in: brücken. Germanistisches Jahrbuch Tschechien – Slowakei N.F. 23 (2015) 1-2, S. 9-210
    Irina Wutsdorff / Katja Wetz (Hgg.)
  • „Eschatologické figurace v programu a v dílech Literární skupiny“ [„Eschatologische Figurationen in Programm und Werken der Literární skupina (Literarische Gruppe)“], in: Tomáš Kubíček /Jan Wiendl (Hgg.): „Vykoupeni z mlh a chaosu…“ Brněnsky expresionismus v poli mezivalečne literatury [„Auftauchen aus Nebel und Chaos…“ Der Brünner Expressionismus im literarischen Feld der Zwischenkriegszeit], Brno 2017, S. 66-82
    Irina Wutsdorff
  • „Interkulturelle Begegnungsräume in literarischen Prag-Darstellungen der Moderne“. In: brücken. Germanistisches Jahrbuch Tschechien-Slowakei 25 (2017) 1-2, S. 173-191
    Ulrike Mascher
  • „Konzepte des Raums“, in: Peter Becher, Steffen Höhne, Jörg Krappmann, Manfred Weinberg (Hgg.): Handbuch der deutschen Literatur Prags und der Böhmischen Länder, Stuttgart 2017, S. 39-45
    Irina Wutsdorff / Manfred Weinberg
  • Prager Moderne(n). Interkulturelle Perspektiven auf Raum, Identität und Literatur. Bielefeld 2018
    Manfred Weinberg / Irina Wutsdorff / Štěpán Zbytovský (Hgg.)
  • „,Volej to po mně!‘ Weinerovy fejetony k vzniku republiky“ [„,Ruf es mir nach!‘ Weiners Feuilletons zur Entstehung der Republik“], in: Tomáš Kubíček / Jan Wiendl (Hgg.): Obrazy kultury a společnosti v období první republiky. Periodický tisk v letech 1918–1938 [Kultur- und Gesellschaftsbilder während der Ersten Republik. Periodika in den Jahren 1918–1938], Brno 2018, S. 143-152
    Irina Wutsdorff
 
 

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