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Gegeißelte Musen? Komponisten in der Stalin-Zeit, 1932-1953

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2015 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 277046826
 
Erstellungsjahr 2022

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das DFG-Projekt findet seinen Ausgangspunkt in der Frage, wie sich das Verhältnis von Macht und Kunst in Russland am Beispiel der Musik gestaltete. Dabei offenbart sich eine lange Kontinuitätslinie vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, wobei es insbesondere das 19. Jahrhundert war, das viele Grundlagen für das Verhältnis der beiden Opponenten Künstler und Mächtige schufen. Zu ihnen gehörte die aufkeimende soziale Kritik am Hof und seiner Bürokratie, wie sie sich in den Librettos und der Stoffwahl in Opern offenbarte. Hierzu gehörte aber auch die Suche nach einem nationalen Idiom in der Musik, die ein direkter Spiegel einer allgemeinen Selbstvergewisserung der russischen Intelligentsija in Abgrenzung zur westlichen Zivilisation war. In diesem Zuge kam es überdies zu einer Professionalisierung der Musik in Russland mittels der Einrichtung erster Konservatorien, die einen Lebenslauf als Berufsmusiker überhaupt erst ermöglichten. Im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermochte es die russische Musik, ihre europäischen Kontrahenten mehr und mehr von den Bühnen der großen Theaterhäuser zu verdrängen und einem breiten Publikum bekannt zu werden. In den 1880er Jahren fanden sich nun zunehmend auch private Mäzene, die aus einem persönlichen Interesse an der Kammermusik o.ä. auf eigene Orchester oder Salons finanzierten, Verlage gründeten und so der russischen Musik international zu mehr Anerkennung zu verhelfen suchten. Um die Jahrhundertwende hatte sich ein reges nationalmusikalisches Leben ausgebildet, das seit Alexander III. und dessen Nationalisierungskurs nun auch seitens der Macht gefördert wurde. Es war das erste Mal in der Geschichte Russlands, das Macht und Kunst von Opponenten zu Bündnispartnern geworden waren. Gleichzeitig war nun eine jüngere Generation herangewachsen, die dem Gedanken einen nationalen Idioms, der in den 1860er Jahren noch so modern gewesen war, nun nichts mehr abgewinnen konnte, sondern vielmehr eine kosmopolitischen Kunst zu begründen suchte, bei der auch die Grenzen zwischen den einzelnen Gattungen zu einem Schmelztiegel einer weltumspannenden Kunstideologie verschwammen. Diese Avantgarde war es, die die 1917er Revolution begeistert begrüßte und sich der neuen bolschewistischen Macht bereitwillig zu Diensten stellte, um ein historisch vollkommen neues Machtexperiment zu wagen. Spätestens 1932 wurde solchen Bestrebungen von Stalin ein Riegel vorgeschoben, als er den Sozialistischen Realismus zur neuen ästhetischen Doktrin proklamierte. Viele Musiker traten der Leerformel mit Interesse entgegen, um die Leitidee mit Inhalt zu füllen. In der Realität offenbarte sich nun aber etwas ganz anderes – nichts Neues wurde nämlich erfunden, sondern Altes wiederentdeckt. Die konservative Wende Stalins bedeutete den Rückbezug auf die alten Eliten des Zarenreichs, eine massive Zentralisierung und Protektion der Musik, die sich in großen Privilegien niederschlug, und die Förderung traditioneller Musikkultur, nationaler Musik und Folklore. Unter dem Deckmantel des Sozialistischen Realismus wurde also die Kultur des 19. Jahrhunderts als einigendes Moment wiederbeschworen. Hatte das 19. Jahrhundert eine russländische Musikkultur geschaffen, sorgte Stalins konservative Wende nun dafür, dass das Konzept wieder aufgenommen und zu einer sowjetischen Musikkultur umgeprägt wurde.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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