Zeitvergehen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Frage "Was ist Zeit?" hat die Philosophie seit der Antike begleitet. Und seit dieser Zeit gibt es unterschiedliche und einander widersprechende Antworten. Die Zeit wurde auf Bewegung zurückgeführt oder alternativ als Aktivität des Bewusstseins verstanden, sie wurde als eigenständige Substanz postuliert oder auf Beziehungen zwischen Körpern zurückgeführt, oder auch als erkenntnistheoretische Voraussetzung von Wahrnehmung ganz aus dem Zusammenhang der Gegenstände der Erfahrungswissenschaften herausgenommen. Man kann sich in unterschiedlicher Weise mit Zeit beschäftigen: mit Zeitlichkeit und Ewigkeit, mit Lebenszeit und Weltzeit, mit der Zeitwahrnehmung oder mit der Bedeutung der endlichen Lebenszeit für unsere Existenz. Dieses Projekt steht in der angelsächsischen Tradition der analytischen Ontologie und Metaphysik, die sich der Frage "Was ist Zeit?" mit Hilfe der Sprachanalyse und in einer Auseinandersetzung mit den Theorien der Physik nähert. In der Metaphysik geht es allgemein um die Frage, was es in der Welt gibt, genauer mit welchen Kategorien und Schemata man "das Mobiliar der Welt" einteilen kann (z. B. als Gegenstände oder als Eigenschaften) und was davon fundamental ist (wofür z. B. Raum, Zeit und Atome vorgeschlagen worden waren). Obwohl die Debatten in der analytischen Metaphysik methodisch in einem weitgehend einheitlichen Rahmen stattfinden, stehen sich auch hier miteinander unvereinbare Vorstellungen über die Existenz von Gegenständen in der Zeit oder über die Interpretation der Rede über Zeitvergehen einander gegenüber. In diesem Projekt wurde nun eine radikal neue Zugangsweise entwickelt. Die Frage, was im Streit der Meinungen die richtige Theorie ist, erwies sich in einem gewissen Sinn als irreführend. Der Fehler liegt in dem Anspruch, eine einzige allgemeine Theorie des Zeitvergehens und der Zeit zu entwickeln. Die verschiedenen einander widersprechenden Positionen haben jeweils spezielle zeitliche Phänomene im Auge, die sie durchaus adäquat analysieren. Aber keine dieser Theorien kann einen Universalitätsanspruch erheben. Keine einzelne dieser Auffassungen allein ist fähig, die Vielfalt zeitlicher Phänomene in der Welt der Physik, bei der Entwicklung lebendiger Organismen oder im Kontext von Bewusstseinsphänomenen (wie Gedächtnis) oder in sozialen Prozessen vollständig zu erfassen. Das gilt auch für die Auffassung, dass die Raumzeit der Physik "die richtige" Theorie der Zeit liefere. Deswegen wurde im Rahmen des Projekts ein pluralistischer Zugang entwickelt, der die Frage nach der Natur der Zeit aufgibt zugunsten einer systematischen Analyse verschiedener Typen zeitlicher Phänomene. Es gibt also nicht die eine Entität 'Zeit', sondern vielfältige Weisen, in denen unterschiedliche Dinge zeitlich sein können. Die systematische Klassifizierung zeitlicher Phänomene erlaubt die Entwicklung eines ontologischen Systems, das die Vielfalt unserer Erfahrungen mit Zeit besser erfasst als bisherige Systeme und das viele Schwierigkeiten bisheriger Ansätze auflösen kann.