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Goethe's Farbenlehre and Photochemical Experiments by J. Ritter

Subject Area Theoretical Philosophy
History of Science
Term from 2015 to 2019
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 279702699
 
Final Report Year 2019

Final Report Abstract

Eine komplementäre Wissenschaft im Sinne Hasok Changs zielt darauf ab, die vom wissenschaftlichen Fortschritt fortgefegten Experimente und Theorien der unterlegenen Dissidenten wohlwollend wieder aufzugreifen und das beste aus ihnen zu machen. Im Projekt zu Goethes Farbenlehre und photochemischen Experimenten Johann Ritters wurde diese Methode auf eine eng abgezirkelte Episode aus der sog. Romantischen Physik angewendet, in deren Verlauf Goethe und Ritter die farbigen Spektren chemisch untersucht haben. Bekannt und anerkannt ist das berühmteste Ergebnis dieser Untersuchungen: der Nachweis photochemischer Wirkungen dessen, was wir heute als UV-Licht bezeichnen. Weder bekannt noch anerkannt sind das Forschungsprogramm und der theoretische Rahmen, in dem Ritter diese berühmte Entdeckung gelungen ist. Sein Leitgedanke, den er von Goethe übernommen hat, lag im Postulat einer Polarität, die unsere gesamte empirische Wirklichkeit strukturiert. Laut diesem Leitgedanken muss man bei der Analyse eines beliebigen Phänomenbereichs versuchen, Experimente aufzubauen, in denen sich zwei entgegengesetzte Pole identifizieren lassen (wie z.B. elektrischer Plus- und Minuspol) und in denen sich bei Vertauschung der Pole die beobachtbaren Effekte genau umkehren; aus heutiger Sicht handelt es sich dabei um eine Vertauschungssymmetrie, die in manchen Bereichen funktionieren mag, nicht aber in der Optik. Seinerzeit war dies alles andere als klar. Nach einigen Monaten der Kooperation der beiden Protagonisten übernahm Ritter die Sichtweise Goethes, der zufolge sich in der spektralen Optik die entgegengesetzten Pole des Lichts und der Finsternis so operationalisieren lassen, dass ihre Vertauschung entgegengesetzte Wirkungen nach sich zieht. Genau diese Idee führte Ritter auf die Spur des UV-Lichts; ohne den Einfluss Goethes (der schon Jahre zuvor kurz vor derselben Entdeckung gestanden hatte) wäre Ritter nicht an diesen Punkt gekommen. Aber von dort aus ging er mit derselben Leitidee weiter – und beschrieb zusätzliche photochemische Reaktionen, die weder seine Zeitgenossen noch die Wissenschaftshistoriographie ernst genommen haben; er starb, bevor sich die Sache hätte durchsetzen können. Diese angeblich irrigen Experimente wurden im Projekt aufgrund der Veröffentlichungen Ritters analysiert und aus moderner Sicht durchleuchtet. Wie sich zeigen ließ, dürften Ritters Beobachtungen zutreffend gewesen sein; sie konnten sowohl repliziert als auch im Sinne der heutigen Nanochemie erklärt werden. Ein anderes Ergebnis des Projekts betrifft die enge Kooperation zwischen Ritter und Goethe. Obwohl beide nicht immer derselben Ansicht waren, zogen sie unter den Vorzeichen der Polarität bis zu Ritters Tod an einem Strang; Ritter war der einzige Physiker von Weltruhm, der Goethes Physik völlig ernstgenommen und weitergeführt hat.

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