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Energiewende und Klimawandel in der Stadtentwicklung. Zwischen diskursiven Leitvorstellungen und Handlungspraxis

Fachliche Zuordnung Humangeographie
Förderung Förderung von 2015 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 280613791
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Im vergangenen Jahrzehnt hat sich der ‚Klimawandel‘ international und bundespolitisch als Handlungsfeld etabliert. Dabei wird insbesondere den Städten eine wichtige Rolle zugesprochen, um die Klimaschutzziele umzusetzen. Der Blick in die Empirie zeigt allerdings häufig eine Diskrepanz zwischen den klimapolitischen Zielen der Bundesregierung auf der einen Seite und den tatsächlichen kommunalen Entscheidungs- und Handlungspraktiken auf der anderen Seite. Ausgehend von diesem Spannungsverhältnis analysierte das Projekt, wie sich die oft unterschiedliche Umsetzung von Zielen des Klimaschutzes bzw. der Klimaanpassung in städtischen Kontexten in Deutschland erklären und untersuchen lässt. Gegenstand der Untersuchung waren bundespolitische sowie kommunalpolitische Diskurse um Stadtentwicklung und Klima, die vergleichend an zwei sehr unterschiedlichen Stadt-Beispielen, Dresden und Münster, bearbeitet wurden. Über den Zeitraum von 1997 bis 2015 wurden Dokumente des ehemaligen Bundesministeriums für Stadtentwicklung, Stadtratsbeschlussvorlagen der Fallstädte Dresden und Münster sowie Interviews mit Stadträt*innen und Mitarbeiter*innen der Umwelt- und Stadtverwaltungen anhand von quantitativen und qualitativen Methoden der Diskursanalyse ausgewertet. Den theoretischen Rahmen bildeten Diskurs- und Gouvernementalitätstheorien im Anschluss an Foucault, die durch Konzepte der Urban Policy Mobility-Forschung ergänzt wurden. Aus dieser Perspektive zielte der Vergleich der Städte darauf ab, die unterschiedlichen Umgangsweisen mit Klimapolitik in Dresden und Münster als Effekt spezifischer Problematisierungen innerhalb der Stadtentwicklung, unterschiedlicher Wahrnehmungen der städtischen Akteur*innen, ihrer Handlungsspielräume sowie der jeweils vorherrschenden Regierungsformen städtischer Klimapolitiken zu erklären. Daran anknüpfend lassen sich drei zentrale Ergebnisse zusammenfassen: 1) Vor dem Hintergrund der politischen Erfahrungen in den Regimen der BRD und der DDR zeigen sich deutliche Unterschiede in den jeweiligen Problematisierungen der städtischen Entwicklungen in Münster und Dresden. Während sich in Münster ‚Klimawandel‘ bereits in den 1990er Jahren als politisches Handlungsfeld etablierte, dominierten in Dresden zunächst im Kontext der Transformationsprozesse der politischen Wende andere stadtentwicklungspolitische Probleme wie z. B. der Stadtumbau und der demographische Wandel. Der globale Klimawandel gewinnt dagegen erst in jüngster Vergangenheit politisch an Bedeutung. 2) Mit Blick auf die Wahrnehmung von Handlungsspielräumen nehmen sowohl die städtischen Akteure in Münster als auch in Dresden deutliche Grenzen wahr aufgrund fehlender gesetzlicher Regularien, der Begrenztheit finanzieller Mittel sowie struktureller Einschränkungen, die sich aus den Handlungsbefugnissen der jeweiligen Zuständigkeitsbereiche von Politik und Verwaltung ergeben. Doch während in Münster Klimaschutz so etabliert ist, dass politische Akteur*innen kommunale Handlungspotenziale kaum infrage stellen, betonen die Akteur*innen in Dresden die Begrenztheit eigener Handlungsmöglichkeiten und sehen die Verantwortlichkeiten für den Klimaschutz in erster Linie beim Bund bzw. der internationalen Staatengemeinschaft. Darüber hinaus schreiben städtische Entscheidungsträger*innen in Münster den Bürger*innen eine aktive und verantwortliche Rolle im Klimaschutz zu. In Dresden dagegen werden der Bevölkerung wenig Handlungsmöglichkeiten innerhalb der kommunalen Klimapolitik attestiert. 3) Bezogen auf die Wirkung von Regierungstechnologien zeigte das Projekt, dass die Stadtgesellschaften in erster Linie durch gouvernementale Regierungstechniken zu ‚klimafreundlichem‘ Handeln angeleitet werden. Diese Steuerungsformen, die darauf abzielen, die dominierenden Vorstellungen um Klimaschutz und Klimaanpassung in der Stadtentwicklungspolitik zu normieren und zu normalisieren können dabei als Ausdruck einer zunehmenden Neoliberalisierung städtischer Klimapolitik interpretiert werden. Gleichwohl positionieren sich städtische Akteur*innen auf verschiedene Art und Weise: Während in Münster die Aktivierung der Eigenverantwortung jedes/r Einzelnen im Mittelpunkt der kommunalen Klimapolitik steht, erfolgt in Dresden die Steuerung der Klimapolitik in erster Linie durch die Gestaltung technischer Systeme. Insgesamt wurde deutlich, dass politische Programme nicht einfach in Praktiken der Stadtentwicklungspolitik umgesetzt, sondern in vielfältigen, auch unerwarteten oder widerständigen Praktiken der Stadtentwicklungspolitik und -planung angeeignet und modifiziert werden. Die Spezifik kommunaler Politiken ist dabei nicht für sich allein zu verstehen, sondern erst im Zusammenwirken unterschiedlicher Maßstabsebenen, historischer Entwicklungspfade und gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Das Projekt trägt somit dazu bei, die Gewordenheit, Veränderlichkeit und Umkämpftheit kommunaler (Klima-)Politik zu verdeutlichen und ein vertieftes Verständnis dafür zu erlangen, dass politische Ziele in den jeweiligen Kontexten auf unterschiedliche Rationalitäten und Problematisierungen treffen, die zu unterschiedlichen politischen Entscheidungs- und Handlungspraktiken innerhalb der Stadtentwicklung führen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Transformation nationaler Klima- und Energiepolitik in städtischen Kontexten – Stadtplanung im Spannungsfeld von politischem Diskurs und Regierungspraktiken. In: pnd|online. Themenschwerpunkt: Planung und Diskurs. I/2016
    Mattissek, A./Sturm, C.
  • (2017): How to make them walk the talk: Governing the implementation of energy and climate policies into local practices. In: Geographica Helvetica, 72, S. 123-135
    Mattissek, A./Sturm, C.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.5194/gh-72-123-2017)
  • Energie- und Klimapolitik in der Stadtentwicklung – Analysen städtischer Diskurse in Münster und Dresden. In: Berichte. Geographie und Landeskunde, 2/2017
    Sturm, C.
  • (2018): Energiewende als Herausforderung für die Stadtentwicklungspolitik – eine diskurs- und gouvernementalitätstheoretische Perspektive. In: Kühne, O./Weber, F. (Hrsg.): Bausteine der Energiewende. S. 109-128
    Sturm, C./Mattissek, A.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-19509-0_6)
  • A Tale of Two Cities. In: Müller, S./Mattissek, A. (Hrsg.): Green Cities. Explorations and Visions of Urban Sustainability. In: RCC Perspectives. Transformations in Environment and Society, 1/2018, S. 39-46
    Sturm, C.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.5282/rcc/8465)
  • Introduction. In: Müller, S./Mattissek, A. (Hrsg.): Green Cities. Explorations and Visions of Urban Sustainability. In: RCC Perspectives. Transformations in Environment and Society, 1/2018, S. 5-14
    Mattissek, A./Müller, S.
  • (2019): Klimapolitik in der Stadtentwicklung. Zwischen diskursiven Leitvorstellungen und politischer Handlungspraxis. Bielefeld: transcript
    Sturm, C.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14361/9783839446812)
  • Klimapolitik in Dresden – Diskurse um Klimawandel im Kontext von Stadtentwicklungspolitik. In: Becker, S./Naumann, M. (2020): Regionalentwicklung in Ostdeutschland. Dynamiken, Perspektiven und der Beitrag der Humangeographie. Wiesbaden: Springer. S. 497-5
    Sturm, C.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-662-60901-9_38)
 
 

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