Cristóbal de Morales und das frühneuzeitliche Magnificat
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt befasste sich mit den polyphonen Magnificat des spanischen Komponisten Cristóbal de Morales (ca. 1500–1553) und konnte diese sowohl gattungshistorisch als auch analytisch in die Geschichte frühneuzeitlichen, liturgischen Komponierens einordnen. Es schließt damit an Forschungen von Karl-Heinz Illing (1936) an, der sich mit Grundfragen der Magnificat-Komposition im 16. Jahrhunderts auseinandersetzte, was Josef Meinholz zwanzig Jahre später um den Zeitraum des 15. Jahrhunderts ergänzte. Winfried Kirsch legte sodann 1966 seine verdienstvolle Quellenstudie zum Magnificat des 15. und 16. Jahrhunderts vor, womit – lange bevor Verzeichnisprojekte wie RISM und der Census Catalogue wirksam wurden – große Teile des Repertoires als erschlossen gelten durften. Dass vor allem Morales im Zentrum einer Geschichte des Magnificat stehen müsste, wenn auch bislang nicht stand, war spätestens seit Robert Stevensons „Spanish Cathedral Music in the Golden Age“ (1961) offensichtlich, dennoch wurde auch darin lediglich darauf verwiesen, Morales’ Magnificat seien weit verbreitet gewesen. Nach den Ursachen und Konsequenzen dessen wurde bis heute nicht gefragt. Das Projekt widmet sich diesem Desiderat gleich unter mehreren Voraussetzungen: Jüngere Studien zu Morales’ Kompositionen (v.a. aus dem Sammelband „Cristóbal de Morales. Sources, Influences, Reception“, 2007) haben gezeigt, dass diese sich konventionellen stilkritischen Kategorisierungen widersetzen, möglicherweise, da sein Œuvre seit jeher unter Verortungsdruck stand: Geboren in Spanien, engagiert in der päpstlichen Kapelle in Rom und sodann zurückgekehrt nach Spanien, galt der Komponist in beiden Ländern schon zu Lebzeiten als fremd („extrangero“). Dennoch wurde er später von der spanischen Nationalgeschichtsschreibung als Wegbereiter eines stilgeschichtlichen spanischen „Sonderweges“ vereinnahmt, was zu Überinterpretationen seiner Tonsprache und Satztechniken als genuin „spanisch“ führte. Sodann trug Morales’ spanische Herkunft dazu bei, dass auch er Opfer der seit der aufklärerischen Musikgeschichtsschreibung anhaltenden Marginalisierung Spaniens wurde („leyenda negra“), ein Phänomen, das erst in den letzten Jahren sukzessive revidiert worden ist. Und schließlich teilte auch Morales das historiographische Schicksal jener „vierte[n] Generation“ (Eggebrecht, „Musik im Abendland“, S. 294) frühneuzeitlicher Komponisten, denen, obschon äußerst produktiv und international erfolgreich, aus der Sicht einer dominierenden Josquin- und Palestrina-Forschung bis heute kaum historische Eigenleistungen zugestanden wurden. Diese Verortungsproblematik war das Projekt und seine avisierte Monographie in eine argumentative Struktur zu gießen und für die Analysen und eine Neujustierung des Morales-Geschichtsbildes fruchtbar zu machen. Aus der Perspektive der Gattungsgeschichte des Magnificat war für das Projekt ebenfalls Grundlagenarbeit zu leisten. Dies vor allem, weil allein aufgrund der exzeptionellen Verbreitungsintensität der Morales-Magnificat (14 Auflagen zwischen1542 bis 1614, was bei einer durchschnittlichen Auflage von 500 Stück insgesamt ca. 7.000 zirkulierende Stimmbuchsätze bedeutet) dieser geistlichen Musik eine Bedeutung zukommt, die sie ebenbürtig an die Seite des Messordinariums stellt. Dieser Befund steht zudem quer zur Gattungsgeschichte des 16. Jahrhunderts, in der ‚liturgische Gebrauchsmusik‘ wie das Magnificat zu den peripheren Gattungen gezählt werden. Da Morales‘ Werke hier eine zentrale Rolle spielen, konnten sie im Projekt als Schlüsselwerke eines weitreichenden Traditionszusammenhanges identifiziert werden. Diese Neupositionierung für Komponist und Gattung wurde aus einer Engführung von Morales‘ doppeltem kompositorischen Erfahrungshorizont in Spanien und Rom, wo er bis 1542 Zugriff auf ein ungewöhnlich breites Spektrum von Magnificat-Vertonungen gehabt hat, mit der Rezeption nach Erscheinen seiner Werke, die für nachfolgende Generationen europäischer Magnificat-Komponisten Vorbildcharakter gehabt haben. Der Schwerpunkt des Projektes lag neben der philologischen Erschließung des zentraleuropäischen Magnificat-Repertoires an Morales‘ Wirkungs- und Rezeptionsorten vor allem auf der analytischen Komparatistik, rückgebunden an die Morales-Magnificat, die als Spiegel des Traditions- und Rezeptionszusammenhangs stets im Zentrum standen. Für die Forschungen zu Morales und der Gattung des Magnificat liegt mit dem abgeschlossenen Projekt, dessen Ergebnisse in einer Monographie publiziert werden, eine grundlegende Neubewertung vor.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- The Magnificat as a Multimedia Genre, in: Maria »inter« confessiones: Das Magnificat in der frühen Neuzeit, hrsg. von derselben und Sabine Feinen, Turnhout (Brepols) 2017, S. 1–4
Christiane Wiesenfeldt
- »Musica efficax« – Dimensionen des Singens in der lutherischen Musikanschauung der Frühen Neuzeit, in: Reformatio & Memoria. Teil 2: Neuere Forschungen zum Protestantismus in der Frühen Neuzeit – Erinnerungsräume der Reformation (= Reihe »Refo500 Academic
Christiane Wiesenfeldt
- »Sie ist mir lieb, die werte Magd«. Luthers musikalisches Marienbild zwischen Konkretion und Abstraktion, in: Maria in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit (= Schriftenreihe »Frühe Neuzeit«), hrsg. von Bernhard Jahn und Claudia Schindler, Berlin
Christiane Wiesenfeldt