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Pflegearbeit in Privathaushalten. Eine Frage der Anerkennung. Sozialethische Analysen

Fachliche Zuordnung Katholische Theologie
Förderung Förderung von 2015 bis 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 284086583
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das sozialethische Projekt „Pflegearbeit in Privathaushalten – eine Frage der Anerkennung“ fokussiert die Arbeits- und Anerkennungsbedingungen von pflegenden Angehörigen, Live-ins und professionell Pflegenden in ambulanten Diensten; es erforscht die strukturellen Bedingungen, unter denen in Deutschland der zahlenmäßig größte Anteil älterer und hochbetagter Menschen gepflegt wird. Die Untersuchung basiert auf einem anerkennungstheoretischen Fundament, für das die einschlägigen Ansätze Axel Honneths herangezogen und weiterentwickelt wurden. Honneth geht von drei (getrennten) Sphären der Anerkennung – Liebe (Beziehung), Achtung (Recht) und soziale Wertschätzung (gesellschaftlicher Leistungsaustausch) – aus und sieht diese als Voraussetzung für den Aufbau von Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstschätzung. Das Projekt nimmt diese Kategorien auf, geht aber nicht von getrennten Sphären, sondern von einer wechselseitigen Durchdringung der drei unterscheidbaren Anerkennungslogiken aus. Dem spezifischen Forschungsinteresse entspricht die Schwerpunktsetzung auf der Logik der sozialen Wertschätzung. Die Dynamiken gewährter bzw. vorenthaltener Anerkennung wurden (1) auf Basis einschlägiger Fachliteratur (u.a. der zahlreichen Berichte unterschiedlicher Institutionen) analysiert, (2) mit einer nicht repräsentativen empirischen Studie anhand von Expert*innen-Interviews mit Gesprächspartner*innen aus Interessenvertretungen, Trägerorganisationen und Fachpolitik (Bundesebene) erfragt, wodurch ein plastischeres und differenzierteres Bild entworfen werden konnte; (3) schließlich wurden literaturbasiert das deutsche, französische, niederländische und österreichische Pflegesystem unter Berücksichtigung der Wohlfahrts-, Arbeitsmarkt- und Migrationspolitiken dieser Länder vergleichend analysiert – mit dem Fokus auf Interdependenz und Interaktion von informeller Pflegearbeit und formellen Pflegeleistungen sowie auf den in den 1990er Jahren eingeführten Cash-for-Care-Leistungen. Alle drei Gruppen von Pflegearbeit Leistenden im Privathaushalt unterliegen den spezifischen Bedingungen und Normerwartungen, die sich an diesen gesellschaftlichen Ort knüpfen: In der Privatsphäre des Familienhaushaltes wird in mindestens partieller Unsichtbarkeit gearbeitet, die Pflegetätigkeit ist dominant Frauen zugeordnet und erfährt geringe soziale Wertschätzung. Der Genderbias wird im Fall der Live-ins durch eine unübersehbare Ethnisierung intersektional verschärft. Aus einem breiten Spektrum von Missachtungserfahrungen, die gruppenspezifisch analysiert wurden, konnten mit Hilfe der anerkennungstheoretischen Matrix konkrete politische Reformbedarfe abgeleitet werden: (1) Den pflegenden Angehörigen müssen Bedingungen geschaffen werden, die ihnen eine Wahlmöglichkeit i.S. eines „right to care / right not to care“ eröffnen; stationäre Versorgung und die Pflegemischformen sind entsprechend zu verbessern und auszubauen. Wer in erheblichem Umfang Familienmitglieder pflegt, muss wirksam vor dauerhafter Überbeanspruchung und Existenznöten (einschl. massiven Abstrichen an der eigenen Alterssicherung) bewahrt werden. Dass bei Inanspruchnahme unterstützender professioneller Hilfen die Rentenwirksamkeit sinkt, ist dringend zu ändern; zudem ist ein Pflegendengeld zur Abfederung des Armutsrisikos unerlässlich. (2) Pflegekräfte im ambulanten Dienst sind gegen die Entgrenzung ihrer Arbeitszeit zu schützen und benötigen Arbeitsbedingungen, die Standards guter Pflege ohne den Einsatz unbezahlter Mehrarbeit gewährleisten. Die Absicherung fairer Vergütung kann nur durch flächendeckende Tarifbindung erreicht werden. (3) Pflegeerwerbsarbeit von Live-ins als irreguläre Sonderform häuslicher Pflege gilt es zu reduzieren; wo sie stattfindet, ist für menschenwürdige und gerechte Arbeits- und Lebensformen zu sorgen; dies erfordert legale Anstellungsverhältnisse nach deutschem Arbeitsrecht. Eine Senkung der Nachfrage muss einerseits durch Aufklärungskampagnen öffentlicher Stellen über die damit verbundenen Ungerechtigkeiten und Rechtsrisiken, andererseits durch bessere Angebote der stationären Pflege (und von Pflegemischformen) und Aufbau verlässlicher Hilfenetzwerke zur Entlastung pflegender Angehöriger angestrebt werden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2016): Sozialethik der Pflege und Pflegepolitik, Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften 57. Münster: Aschendorff Verlag. Darin: Heimbach-Steins, Marianne/Krause, Felix: Pflege und Pflegepolitik unter dem Anspruch der Anerkennung. Eine sozialethische Skizze, 79-104; Emunds, Bernhard: Menschenunwürdige Pflegearbeit in deutschen privathaushalten. Sozialethische Bemerkungen zu den Arbeitsverhältnissen mittel- und osteuropäischer Live-Ins, 199-224
    Heimbach-Steins, Marianne (Hg.)
    (Siehe online unter https://doi.org/10.17879/jcsw-2016-1696 https://doi.org/10.17879/jcsw-2016-1700)
  • (2017): Familie und Alter – Lebensformen zwischen Deinstitutionalisierung und pflegepolitischer Reinstitutionalisierung. In: Ethik und Gesellschaft 1/2017: Sozialethik der Lebensformen, 35 Seiten
    Hagedorn, Jonas; Neher, Lisa
    (Siehe online unter https://doi.org/10.18156/eug-1-2017-art-6)
  • (2017): Grund zur Sorge – Genderfragen im Feld der Care-Arbeit. In: Brand, Cordula u.a. (Hg.). Ethik in den Kulturen – Kulturen in der Ethik. FS Regina Ammicht Quinn. Tübinger Studien zur Ethik. Tübingen: Narr Francke Attempto. 231-240
    Heimbach-Steins, Marianne
  • (2017): Sozialethische Bemerkungen zur gesellschaftlichen Organisation der Pflegearbeit. In: Stephan Ernst (Hg.): Alter und Altern. Herausforderungen für die theologische Ethik (Studien zur theologischen Ethik, Bd. 147). Fribourg/Freiburg i.Br.: Academic Press Fribourg/Herder. 179–199.2
    Emunds, Bernhard
  • (2018): Arbeit am Menschen. In: Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung (Nr. 20 / Arbeit und Kapital), S. 38–42
    Emunds, Bernhard; Hagedorn, Jonas
  • (2018): Axel Honneths Anerkennungstheorie revisited. Pflege(erwerbs)arbeit und deren Anerkennung aus sozialethischer Perspektive. Frankfurt a.M.: Nell-Breuning-Institut (Frankfurter Arbeitspapiere zur gesellschaftsethischen und sozialwissenschaftlichen Forschung, Nr. 69)
    Hagedorn, Jonas; Habel, Simone
  • (2018): Beendet die Ausbeutung in der sogenannten 24-Stunden-Pflege! Ethische Bemerkungen zu Arbeitsverhältnissen in deutschen Pflegehaushalten. Kirche und Gesellschaft 454 (Köln: J. P. Bachem Medien)
    Emunds, Bernhard
  • (2019): Anerkennungsdefizite und Machtasymmetrien in der häuslichen Pflegearbeit. Eine sozialethische Reflexion. In: Julia Schröder (Hg.): Gewalt in Pflege, Betreuung und Erziehung. Verschränkungen, Zusammenhänge, Ambivalenzen. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 108–129
    Hagedorn, Jonas
  • (2019): Angehörigenpflege – unsichere Existenz und politische Vereinnahmung (ICS AP Nr. 12). Münster: Institut für Christliche Sozialwissenschaften.
    Heimbach-Steins, Marianne/Hänselmann, Eva/Quaing, Lea
  • (2019): Formelle und informelle Sorgearbeit. In: Irmi Seidl und Angelika Zahrnt (Hg.): Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft. Marburg: Metropolis-Verlag, S. 141–159
    Hagedorn, Jonas
  • (2020): Von der Schwarzarbeit zum „grauen Markt“ – und darüber hinaus? Neuere und künftig notwendige Entwicklungen der sog. 24-Stunden-Pflege, in: Jacobs, Klaus u.a. (Hg.): Pflege-Report 2020. Neuausrichtung von Versorgung und Finanzierung, Berlin – Heidelberg: Springer-Verlag. 111-121
    Emunds, Bernhard; Habel, Simone
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-662-61362-7_7)
  • Angehörigenpflege unter Dauerdruck. In: AmosInternational 2. 11-18.3
    Heimbach-Steins, Marianne/Quaing, Lea
 
 

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