Die Rhetorik des Gebets. Studien zur spätantiken lateinischen Kultsprache
Griechische und Lateinische Philologie
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Sowohl in den historiographischen Quellen als auch im untersuchten Ritus begegnete die Vorstellung, dass sich das gotische Volk als neues Volk Gottes, gewissermaßen als alter Israel, begreift oder dass in den unterschiedlichen Textsorten zumindest ein solches Selbstverständnis suggeriert wird. Um dieses identitätsstiftende Merkmal hervorzuheben, werden in den unterschiedlichen Zeugnissen alttestamentliche Narrative anzitiert oder deren Inhalt wird paraphrasiert und mit den gegenwärtigen Umständen parallelisiert. Dieser Erwählungsgedanke kann auch als konzentrischer Kreis verstanden werden: Im Zentrum befindet sich der katholische König, der gerade im Kontext des Krieges als Gefäß des göttlichen Willens imaginiert wird, und der sein Heer somit unter dem Schutz der göttlichen Gunst führt. Deren Kampf wird über die immanente Ebene hinaus stilisiert, sodass ein kriegerischer Erfolg nicht nur weltlichen, sondern geradezu eschatologischen Mehrwert besitzt. Die besprochenen Texte bieten zudem ein Spektrum an göttlicher Involviertheit. Zwar ist allen Texten gemeinsam, dass Gott in irgendeiner Weise in das weltliche Geschehen eingreift, jedoch geschieht dies meistens vermittelt durch den König als seinen Vertreter bzw. durch das Heer als seine Krieger. In einigen Fällen wird jedoch deutlich illustriert, dass Gott geradezu als himmlischer Streiter in das Geschehen eingreift und die Feinde vernichtet. Der Ordo quando rex cum exercitu ad prelium egreditur fügt sich also nahtlos in die mentalitätsgeschichtliche Folie ein, die aus den historiographischen Texten erschlossen werden konnte und bietet ein paradigmatisches Beispiel dafür, wie solche identitätsstiftenden und -bestätigenden Vorstellungen in einem rituellen Vollzug verarbeitet werden können.