Orte zwischen filmischer Imagination und touristischer Lebenswelt
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Kontext der stetigen Medialisierung der Welt und der zunehmenden Vermittlung von Wissen durch Massenmedien nimmt die Bedeutung der filmisch imaginierten Orte für die touristische Lebenswelt und für den Alltag weltweit mit großer Dynamik zu. Nicht nur individuelle „Film-Buffs“ identifizieren sich mit den Hauptpersonen der Spielfilme und „spielen“ bisweilen die Rollen an den Drehorten nach, sondern auch der „durchschnittliche“ Tourist sucht die Drehorte auf, um dort den Einstieg in die Thematik, die Stimmung, die Welt bzw. in die Erzählung des Spielfilms zu gewinnen. Inzwischen wurde diese Spielart des Tourismus, der Filmtourismus auch von der kommerziellen Tourismusbranche entdeckt und vermarktet; Spezielle Reiseagenturen, Touranbieter, Filmreiseführer u. v. a. sind entstanden. Oftmals werden Blockbuster bereits unter dem Aspekt der Vermarktung der „Locations“, der Drehorte produziert. In ähnlicher Weise, wie es Georg Lucas gelungen ist mit Merchandise-Produkten seiner Filme eine mehr als beeindruckende Wertschöpfung zu erreichen, so werden heute die Orte gezielt mit in die integrierte Vermarktung der Spielfilme einbezogen. Filmisch neu definierte Orte funktionieren als touristische Destinationen insbesondere dann bzw. vor allem, wenn die neue Bedeutungszuschreibung eineindeutig ist: a) Der Drehort Ait Benhaddou, ein Ort zahlreicher Hollywoodproduktionen wird nicht als neu definierter Filmort touristisch wahrgenommen, sondern wird von der Masse der internationalen Touristen weiterhin als Berberdorf konsumiert. b) Mehrere Orte in Südtunesien, die als Drehorte für die mehrteilige Spielfilmreihe „Star Wars“ dienten, werden heute noch von Filmtouristen aus aller Welt besucht und haben für dieses Klientel ihre lebensweltlichen Zuschreibungen völlig verloren (Escher et al. 2008). Allerdings wurden dort in der filmischen Wahrnehmung ausschließlich Star Wars-Filme gedreht. c) Gelegentlich kommt es beim Filmtourismus durch den medialen Diskurs zur Dominanz bzw. zum Verschwinden von filmischen Zuschreibungen. Die US-amerikanische Fernsehserie LOST gewann bei Filmkonsumenten so stark an Bedeutung, dass auf Hawaii, wo die Serie wie auch andere bedeutende Spielfilme (z. B. Pearl Habour, Jurassic Park usw.) gedreht wurde, heute der überwiegende Teil der Filmtouristen bei den Serviceanbieter vor allem die Orte von LOST nachfragen. Die Serie LOST dominiert gegenwärtig alle anderen Zuschreibungen. Oahu wird zur Insel der LOST-People für den filmtouristischen Besucher, ähnlich dem Magnum P.I. Phänomen der 1980er Jahre. In seinem bahnbrechenden Studie über die Fernsehgesellschaft im Jahr 1985 mit dem Titel „No Sense of Place. The Impact of electronic Media on Social Behaviour“ spricht Joshua Meyrowitz von einem Verlust des Ort-Sinns. Die unterschiedlichen Ergebnisse unserer Studien verweisen eher daraufhin, dass inzwischen die Menschen nach der digitalen Revolution der letzten zwanzig Jahre sehr gut mit virtuell und medial erzeugten Bedeutungszuschreibungen umgehen können. Sicherlich haben sich die grundlegenden Erkenntnisse bezüglich der Kontexte Öffentlichkeit, Persönlichkeitsentwicklung, Autorität, Gender und Rollenübergänge weiter verstärkt, aber die Modifikationen der Bedeutungszuschreibungen und die Differenz des Ortes haben an Bedeutung und Differenz gewonnen. Die Wechselwirkung zwischen fiktional filmischen Erzählungen verstärkt sich in den letzten Jahren durch die Mächtigkeit von Serien (z. B. LOST, 24, Sopranos, etc…), die nicht nur im Internet, sondern auch in der alltäglichen Lebenswelt zunehmend zitiert werden, zur Diskussion alltäglicher Probleme dienen und Bedeutung bekommen. Der „Drehort“ dient als der Einstieg in die Realität der Serie. An dieser Stelle (und am Ort) müssen zukünftige Forschungen ansetzten. Die alten Mythen und die großen Erzählungen spiegeln sich zunehmend in den überall abrufbaren und konsumierbaren Serien wider.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2006): Film Geography: A New Subfield. In:. Erdkunde: Archiv für wissenschaftliche Geographie, (60) 4 S. 315-326
Lukinbeal, Chris und Zimmermann, Stefan
- (2006): Marokko und Hollywood. In: Diplomatisches Magazin. (47) 7/8. S. 10-11
Zimmermann, Stefan
- (2006): The Geography of Cinema - A Cinematic World. Erdkunde 60, S.307-314
Escher, Anton
- (2006): Visualisierungen der Landschaften im Spielfilm. In: Franzen, Brigitte und Krebs, Stefanie (Hrsg.): Mikrolandschaften - Landscape Culture on the Move. Münster. S. 254-264
Escher, Anton und Zimmermann, Stefan
- (2007): Media Geography - always part of the game. In: Aether - the journal of media geographies. Vol. 1. S. 59-62
Zimmermann, Stefan
- (2008): A Cinematic World. In: Lukinbeal, Chris und Zimmermann, Stefan (Hrsg.): The Geography of Cinema – a Cinematic World. Stuttgart. S. 15-23
Lukinbeal, Chris und Zimmermann, Stefan
- (2008): In the Footsteps of Jedi Knights and Sea Pirates. Hollywood Movies and Tourism in Tunisia. Geographische Rundschau. International Edition 4, No.3, S. 46-52
Escher, Anton & Eva Riempp & Myrjam Wüst
- (2008): Landscapes of Heimat in post-war German cinema. In: Lukinbeal, Chris und Zimmermann, Stefan (Hrsg.): The Geography of Cinema – a Cinematic World. Stuttgart. S. 171-183
Zimmermann, Stefan
- (2008): Sur les traces des guerriers des étoiles et des pirates: l'impact hollywoodien sur le tourisme en Tunisie. In: Popp, Herbert (Hrsg.): Les pays du Maghreb: contributions de la géographie humaine allemande. Bayreuth 2008, S. 94-103
Escher, Anton & Eva Riempp & Myrjam Wüst
- (2008):Auf den Spuren von Sternenkriegern und Seepiraten. Auswirkungen von Hollywoodfilmen in Tunesien. Geographische Rundschau 60. Heft 7/8, S. 42-48
Escher, Anton & Eva Riempp & Myrjam Wüst
- (2009): Die Macht des Rituals. Thanksgiving in Gurinder Chadhas Spielfilm What's Cooking? In: Escher, Anton und Thomas Koebner (Hrsg.): Ist man, was man isst? Essrituale im Film. München, S. 31-46
Escher, Anton & Stefan Zimmermann
- (2009): Film Tourism – Locations are the new Stars. In: Conrady, Roland und Martin Buck (Hrsg.): Trends and Issues in Global Tourism 2009. Berlin. S. 155-162
Zimmermann, Stefan und Tony Reeves
- (2009): Filmgeographie – Die Welt in 24 Frames. In: Döring, Jörg und Tristan Thielmann (Hrsg.): Mediengeographie. Bielefeld. S. 291-313
Zimmermann, Stefan