Die Transformation hochschulleerer Räume zur Hochschullandschaft. Das Nordrhein-Westfälische Gesamthochschulkonzept, 1965-1985
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Mit dem Projekt konnte inhaltlich gezeigt werden, dass von „Hochschullandschaft“ zu Beginn der 1960er Jahre noch niemand sprach, denn dieser Begriff ebnete diskursiv Unterschiede zwischen den verschiedenen Hochschultypen ein, die zu Beginn der 1960er Jahre aber noch Bedeutung hatten. So wurden die neuen Universitäten, die die christdemokratische Regierung in Folge der Empfehlungen des Wissenschaftsrates initiierte, als klassische Hochschulformen gegründet, um das bestehende Hochschulwesen zu entlasten und zu stützen. Denn trotz aller aufkommenden Kritik an den klassischen Universitäten, wurden ihre inhaltlichen Strukturen zur Ausbildung von Fachkräften auf dem Höhepunkt des Wirtschaftsbooms nicht hinterfragt. Dies änderte sich mit den ersten Konjunkturschwächen in Folge der Kohlekrise, mit den neuen Erkenntnissen der Bildungsplanung und Raumforschung sowie dem politischen Wechsel hin zu einer sozialliberalen Koalition, die sich vor allem über neue Formen der Planung und Staatsorganisation profilierte. Der Hochschulraum wurde entsprechend seit dem Ende der 1960er Jahre als Struktur wahrgenommen und als Gesamtsystem geplant. Nicht Differenzierung des Hochschulwesens, sondern dessen Vereinheitlichung bestimmte die hochschulpolitischen Debatten seit dem Ende der 1960er Jahre. Ein Steuerungsinstrument hierfür war das Gesamthochschulkonzept, das in Nordrhein-Westfalen landesweit die von der Raumforschung ausgewiesenen „hochschulleeren Räume“ füllen sollte. Die Gesamthochschule sollte hierzu alle bestehenden Hochschultypen in das Konzept integrieren, einschließlich der Universitäten, um so Unterschiede zwischen den verschiedenen Institutionen abzubauen. Mit diesem Eingriff in das Hochschulwesen sollte ein flächendeckender, sozialliberal grundierter Hochschulraum etabliert werden, der an allen Orten des Landes die gleichen Chancen auf Bildung versprach. Die Planung des Gesamthochschulkonzeptes, das sich aus insgesamt sechs Gesamthochschulstandorten zusammensetzte, wurde dabei so angelegt, dass die Stimmen der Zivilgesellschaft, der Städte und der Gründungsrektorate einbezogen werden sollte. Mehr noch sah sich die Landesregierung nur in der Funktion die notwendigen Rahmen zu schaffen, innerhalb derer die lokalen Akteure den Ausbau und die inhaltliche Reform des Gesamthochschulprojektes aushandelten. Diese Planungsform führte zu Eigendynamiken, die sich der staatlichen Steuerung entzogen und sich in einem städtischen und institutionellen Eigensinn äußerten, der das Gesamthochschulkonzept und das Ziel der Vereinheitlichung teilweise konterkarierten. Denn Städte und Gründungsrektorate verfolgten eigene Zielvorstellungen. So orientierten sich einige Rektorate an den klassischen Universitäten, um die jeweilige Gesamthochschule in der Hochschul- und Wissenschaftsöffentlichkeit zu etablieren. Die Landesregierung sah sich zunehmend in der Position, den Gesamthochschulen Freiheiten in der Außendarstellung, wie die Übernahme der Bezeichnung ‚Universität‘ einzuräumen. Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung des Bundeslandes führte ab der Mitte der 1970er Jahre aber zu knapper werdenden Finanzmitteln, weshalb von der Integration der bestehenden Hochschulen in die Gesamthochschulen sukzessive Abstand genommen wurde. Auch die Universitätsrektoren stellten sich gegen die Einverleibung in das Gesamthochschulkonzept, weshalb bis zur Mitte der 1970er Jahre nur die Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen integriert werden konnten, was den Gesamthochschulen in der Hochschulöffentlichkeit den Stand einer Universität zweiter Klasse einbrachte. Das Personal, das sich an den Gesamthochschulen aus Universitäts- und Fachhochschullehrern zusammensetzte, blieb gespalten, da es nicht gelang beide Statusgruppen zu vereinheitlichen, was zu innerinstitutionellen Schwierigkeiten führte. Ab den 1980er Jahren und den neuen Debatten um Wettbewerb und Globalisierung schien die Idee einer Gesamtsteuerung in den Hintergrund zu treten und die Regierung sprach zunehmend von „Hochschullandschaft“, mit der dieser Wettbewerb unter heterogenen Hochschulformen zugelassen wurde. Auf der Forschungsebene konnte mit dem Projekt gezeigt werden, dass Raum (1.) sozial ausgehandelt und durch materielle Aufbauten in Form von platzierten Gesamthochschulbauten konsolidierte ist. (2.) Zeigt das Projekt, dass Universitätsgeschichte, vor allem bei einem räumlich angelegten Hochschulprojekt, nicht einfach als Institutionengeschichte geschrieben werden kann und die Interessen von verschiedenen Akteuren außerhalb der Institution berücksichtigt werden müssen. Schließlich (3.) konnte mit dem Projekt gezeigt werden, dass die Planung und Umsetzung eines solchen Projektes als Bottom-Up-Prozess stärker in den Blick genommen werden muss.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Die weißen Flecken auf der Hochschulkarte und regionale Neuordnungsversuche durch das nordrhein-westfälische Gesamthochschulkonzept in den 1960er und 1970er Jahren, in: Geschichte und Region/Storia e regione 26 (2017) , Nr. 2, S. 92–114
Celebi, Timocin J.