ERP-Studien zur Rolle der Prime-Verarbeitungstiefe für den evaluativen Priming-Effekt auf ästhetische Präferenzurteile
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt untersuchte mittels ereigniskorrelierter Hirnpotentiale (ERPs) die Mechanismen des evaluativen Priming-Effekts (EPE) in einer langsam getakteten Variante des Paradigmas. Der EPE verweist auf eine Verschiebung evaluativer Urteile über Target-Reize, denen affektive Prime-Reize (Wörter, Bilder) vorangehen, in Richtung der Prime-Valenz. Eine integrative Theorie des EPE unterscheidet mediierende Prozesse (Prime- Target-Affekttransfer, Response Priming) von moderierenden Prozesse (u.a. bewusstes Gegensteuern). Im Projekt stand zunächst die mehrfach beobachtete Zunahme des EPE bei reduzierter Prime-Verarbeitung im Fokus, sowie ihre ERP-Korrelate. In vier Experimenten sollte die Verarbeitung affektiver, für 800 ms gezeigter Prime-Wörter auf verschiedene Weise reduziert werden: Prime-spezifische Arbeitsgedächtnis(AG)-Belastung, Präsentation der Primes als Distraktoren in einer Zweitaufgabe, Lenkung der Aufmerksamkeit auf nonaffektive Aspekte der Primes, Instruktion der Probanden, die Verarbeitung der Prime-Wörter zu hemmen. Im ersten Experiment zeigte sich unter Prime-spezifischer AG-Belastung keine Zunahme, sondern tendenziell sogar eine Abnahme des EPE. Frühere Befunde einer EPE-Zunahme bei nicht Prime-spezifischer AG-Belastung gingen folglich auf eine reduzierte Target-Verarbeitung zurück. Die Prime-ERPs zeigen, dass auch nicht speziell instruierte Probanden spontan die Verarbeitung der Primes inhibieren. Sind aber unter AG-Belastung kognitive Ressourcen verknappt, versagt diese (proaktive) Hemmung. Speziell für affektive Primes treten dann reaktive Hemmprozesse hinzu, ersichtlich am sehr untypischen Befund einer Reduktion der positive slow wave (PSW) für affektive vs. neutrale Primes, statt der üblichen Erhöhung. Im Target-ERP zeigte sich ein systematischer Effekt der Prime-Valenz auf die Amplitude der medial-frontalen Negativität (MFN), was die bis dato spärlichen ERP-Befunde für Prime-Target-Affekttransfer als Mediator des EPE ergänzte. Da mehrere Pilot-Studien keine EPE-Zunahme bei reduzierter Prime-Verarbeitung fanden, orientierten wir uns stärker auf ERP-Korrelate des EPE an sich. In einem Standard- Paradigma ohne experimentelle Manipulation, mit affektiven Prime-Wörtern und koreanischen Target-Schriftzeichen, wurde anhand von ERPs erstmals klar gezeigt, dass die generelle Tiefe der Prime-Verarbeitung positiv und die der Target-Verarbeitung negativ mit der Stärke des EPE korreliert. Ein Prime-Valenz-Effekt auf die Target-PSW korrelierte ebenfalls positiv mit dem EPE, was erneut für Prime-Target-Affekttransfer als Mediator des EPE spricht. Die Ergebnisse wurden in Studie 4 mit affektiven Prime-Bildern konzeptuell repliziert und ergänzt um den neuen Befund, wonach auch das Ausmaß der Valenzdiskrimination an parietalen P2-, P300-, und PSW-Komponenten im Prime-ERP positiv mit der Stärke des EPE korrelierte. Ein neuer und überraschender Befund war die Target-PSW-Reduktion für valent vs. neutral geprimte Targets, die ebenfalls positiv mit dem EPE zusammenhing. Auf dieser Basis führten wir Prime-Target-Ressourcenkonkurrenz als einen weiteren Moderator des EPE in die Literatur ein. In Studie 3 schließlich instruierten wir über den EPE aufgeklärte Probanden explizit dazu, die affektiven Prime- Wörter zu ignorieren. Der EPE war unter Inhibition reduziert, wie auch die perzeptuelle, attentionale und semantische Verarbeitung der Primes, ersichtlich an geringeren Amplituden der N170, der P300, und der Posterior Semantic Asymmetry (PSA), eines Markers für den Grad semantischer Aktivation durch visuelle Wörter. Dies war begleitet von einer erhöhten MFN, womit das in früheren Studien identifizierte Prime-ERP-Muster, das post-hoc als Signatur der Inhibition der Primes durch einen Teil der Probanden interpretiert worden war, bestätigt wurde. Trotz der erforderlichen Abweichungen vom Antrag hat das Projekt viele Impulse für die weitere Forschung zum EPE sowie wertvolle neue Erkenntnisse erbracht, die sich bisher in vier Publikationen in internationalen englischsprachigen Fachzeitschriften niedergeschlagen haben. In methodischer Hinsicht belegen die Studien klar den enormen Wert von ERPs für den Forschungsbereich: Es wurden nicht nur robuste und replizierbare ERP-Effekte gefunden, sondern diese standen auch in funktionalem Zusammenhang mit dem Urteilseffekt, dem EPE. Aus inhaltlicher Sicht ist hervorzuheben, dass in unserem ökologisch validen, langsam getakteten Paradigma viele Hinweise auf strategisches Verhalten der Probanden gefunden wurden. Dies könnte einen richtungsweisenden Einfluss auf die künftige Forschung ausüben, dieses Paradigma und die assoziierten strategischen Prozesse stärker als bisher zu untersuchen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2017). Working-memory load enhances evaluative priming from supraliminal emotional words. 59. Tagung experimentell arbeitender Psychologen, Dresden
Seib-Pfeifer, L. E., Gibbons, H., & Schnuerch, R.
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(2018). ERP-correlates of evaluative priming underline the importance of depth of processing and implicit affect misattribution. 60. Tagung experimentell arbeitender Psychologen, Marburg
Seib-Pfeifer, L. E., & Gibbons, H.
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Affective priming and cognitive load: event-related potentials suggest an interplay of implicit affect misattribution and strategic inhibition. Psychophysiology, 55(4), 13009
Gibbons, H., Seib-Pfeifer, L. E., Koppehele-Gossel, J., & Schnuerch, R.
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(2019). Independent ERP predictors of affective priming underline the importance of depth of prime and target processing and implicit affect misattribution. Brain and Cognition, 136, 103595
Seib-Pfeifer, L. E. & Gibbons, H.
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(2019). On ignoring words – exploring the neural signature of inhibition of affective words using ERPs. Experimental Brain Research, 237(9), 2397- 2409
Seib-Pfeifer, L. E., Koppehele-Gossel, J., & Gibbons, H.
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(2020). Attention please: ERP evidence for prime-target resource competition in the neutral-target variant of affective priming. Acta Psychologica, 208, 103102
Seib-Pfeifer, L. E., Kirsten, H., & Gibbons, H.