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Computerisierung als Herausforderung der Gewerkschaftsbewegung: das Beispiel der Druckindustrie

Fachliche Zuordnung Wissenschaftsgeschichte
Förderung Förderung von 2016 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 290706649
 
Erstellungsjahr 2021

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Forschungsprojekt konnte herausarbeiten, dass bereits die generelle Wahrnehmung von Technik und die Prognosen von Experten vor der tatsächlichen Einführung der Computerisierung eine wichtige Rolle dafür gespielt haben, wie der technische Wandel vonstatten ging. Die konkrete gewerkschaftliche Technologiepolitik in der heißen Phase der Computerisierung während der 1970er- und 1980er-Jahre hing zum einen von jahrzehntelangen Erfahrungen der Branchengewerkschaft bei der Einführung neuer Techniken und zum anderen von den Prognosen von Computerexperten vor der Einführung dieser spezifischen Technologie ab. Während zunächst bekannte Konzepte auf die Computerisierung der Branche projiziert wurden und diese folglich „nur“ als eine verschärfte Form der Rationalisierung begriffen wurde, traten nach den ersten Erfahrung mit den Potenzialen der Computer vermehrt Vorstellungen in den Vordergrund, die eine völlig neue Qualität des technischen Wandels ausmachten. In diesem Sinne lassen sich die aktuellen allgemeinen Diskussionen um die vermeintliche Industrie 4.0 auf die Branchenerfahrungen um 1980 zurückführen: In der Druckindustrie und ähnlich früh betroffenen Branchen entstand um 1980 partiell eine gewisse Tendenz zur Überschätzung der Geschwindigkeit des technologischen Wandels (wenngleich diese zum Teil Automatisierungserwartungen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts ähnelte). Die transformativen Wirkungen der Computerisierungen hingen also von kulturellen Konzepten und selbstverständlich vom sozialen und politischen Kontext ab. Darüber hinaus war die Wirksamkeit der Schriftsatzcomputer zu einem großen Teil von technischen Entwicklungen in anderen Bereichen der Branche, v.a. den Möglichkeiten der Datenfernübertragung und später der Satellitentechnik abhängig. Weiterhin war der Kontext der ökonomischen und kulturellen Globalisierung von entscheidender Bedeutung von Veränderungen, die eben nicht allein von der neuen Technik des Computers bestimmt wurden. Ein Trend zu internationalen Vernetzung lässt sich allerdings nicht nur bei den Konzernen, sondern auch bei den Gewerkschaften ausmachen. Erneut konnten bestehende Kooperationen ausgebaut werden. In einem gewissen Sinne lässt sich durchaus von der Computerisierung als einem Motor für die Europäisierung der Gewerkschaften sprechen. Dabei verloren lokale Aktionen und betriebliche Regelungen der industriellen Beziehungen keinesfalls an Bedeutung. Gewissermaßen lassen sich gleichzeitig eine Verbetrieblichung der industriellen Beziehungen und eine Europäisierung der Gewerkschaften als Ergebnis des technischen Wandels ausmachen. Eine internationale Koordination lokaler Streikaktionen enthielt durchaus ein großes Potenzial als Antwort auf die Herausforderung der computertechnologischen Überwindung der ortsabhängigen Produktion. Allerdings zeigten sich jenseits von einzelnen aufsehenerregenden internationalen Solidaritätsaktionen gewisse Mobilisierungsschwierigkeiten bei der Gewerkschaftsbasis für eine transnationale Ausrichtung der Gewerkschaftspolitik. Der Fokus des Projekts auf unterschiedliche lokale Formen des technologischen Wandels ergab ein differenziertes Bild der Computerisierung. Der häufigste Fall war eine Persistenz alter Techniken über einen längeren Zeitraum und vor allem die Einführung der Innovation in hybriden Formen zwischen der alten und der neuen Technik. Gerade in diesem Bereich konnte das Projekt auf ein Desiderat der Gewerkschaftsgeschichtsforschung aufmerksam machen: Im partiell proaktiven Umgang mit der Einführung neuer Techniken lässt sich eine gewerkschaftliche Technologiepolitik erkennen, die in der Regel von der Geschichtsschreibung, deren Fokus auf Streiks und Tarifabschlüssen liegt, übersehen wird. Für weitere Untersuchungen zur Geschichte der Computerisierung im Arbeitsleben erscheinen vor allem Projekte zum Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" ergiebig zu sein, weil dort das Spannungsverhältnis zwischen unterschiedlichen Interessen an der neuen Technik offenkundig wurden. Wenn dieses Projekt also die soziale Gestaltbarkeit der technologischen Wandels zum einen betont hat, so lässt sich im Ergebnis zum anderen festhalten, dass der technische Wandel spätestens Anfang der 1980er-Jahre einen Punkt erreicht hatte, der den sozialen und politischen Handlungsspielraum stark eingeengt hatte.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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