Institutionalisierte interkulturelle Vermittlung am Beispiel des Tourismus in Marokko
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Prozesse der Wirklichkeitskonstruktion im internationalen Tourismus erscheinen im Licht der im Rahmen unserer Untersuchung gewonnen grundlegenden theoretischen Einsichten verstehbarer, nachvollziehbarer und sie sind eher vorauszusehen. In einem komplexen Spiel von jeweils auf historischen Erfahrungen und kulturellen Traditionen gewachsenen Fremdbildern kommt es zu einer Wechselwirkung zwischen touristischer Erwartungshaltung einerseits und dem ökonomisch motivierten Wunsch nach ihrer Erfüllung andererseits. So ist die kommunikative Situation in der transkulturellen Begegnung schon vor ihrem eigentlichen Eintreten von beiderseitigen Erwartungserwartungen vorgeprägt - und dies nicht selten in einer Weise, die faktischen und befriedigenden kulturellen Austausch erschwert. Wir erkennen dieselben Prinzipien als Wirkfaktoren hinter so unterschiedlichen untersuchten Phänomenen wie europäischen Residenztourismus in marokkanischen Altstädten, Wüsten- und Ethnotourismus, der in Wert Setzung traditioneller lokaler Agrarerzeugnisse wie etwa dem Argan-Öl oder der Verwandlung regionaler spiritueller Heilkulte in Folklore-Ereignisse, wie es etwa beim Gnawa-Festival in Essaouira geschieht. In allen Fällen versuchen lokale Anbieter auf Basis spekulativer oder aus Erfahrung gespeister Annahmen über die von den Reisenden mitgebrachten Orientphantasien diesen meist klischeehaften Vorstellungen gerecht zu werden und entsprechende Wirklichkeiten zu schaffen, zu organisieren und zu instrumentalisieren. So erleben Reisende das orientalische tausend-und-eine-Nacht-Märchenwunderland der Reisekataloge mit Bauchtanz und Shisha-Rauch obwohl weder die Wasserpfeife, noch der Bauchtanz noch die Märchen des Mashreg marokkanische Traditionen sind. Mögen oberflächlich solche Darbietungen im Einzelfall touristische Erwartungen bedienen, so sind es doch Verfremdungen, die tendenziell zu einer Entfremdung und damit zu einer Unzufriedenheit führen, selbst wenn manche der durch den Tourismus induzierten Phänomene auf lange Sicht in die marokkanische Kultur integriert werden. Einsicht in das Wesen und die Konsequenzen des von diesen erkannten Prinzipien geprägten kommunikativen Austausches könnte auf beiden Seiten zu einem gelasseneren Verhalten führen und die transkulturelle Begegnung befriedigender gestalten. Da wir nicht von einem statischen Begriff von Tradition ausgehen und Indigenität als koloniale, ideologische Konstruktion verstehen, sehen wir kulturellen Wandel in Folge von Alteritätserfahrungen als den Normalfall und teilen nicht grundsätzlich die pessimistische Einschätzung, „der Tourismus zerstört, was er sucht, indem er es findet" (H.-M. Enzensberger zugeschrieben). Vielmehr hoffen wir, dass die mediale Verbreitung der Erkenntnis, „der Tourismus findet das, was er sucht, indem er es schafft" (Becker/Escher), auf beiden Seiten zu einem weniger pathetischen und statt dessen humorvolleren und lächelnd-verstehenderen touristischen Erleben fremder Wirklichkeiten beiträgt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2009). L'Art du Desert (HDV 17 min.)
Becker, Gerd & Ariane Bethusy-Huc
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(2010). Die Farben der Trance (HDV 23 min.)
Helge Weichmann
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(2010). Warum Aristoteles wissenschaftliche Filme gedreht hätte. Überlegungen zur Theoriefähigkeit des Bildes anhand der Erfahrungen mit dem Film „L'Art du Desert". Zeitschrift für Ethnologie 135, 2010, 1-22
Becker, Gerd