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Ahasvers Erben. Der "Ewige Jude" in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts

Antragsteller Dr. Florian Schneider
Fachliche Zuordnung Germanistische Literatur- und Kulturwissenschaften (Neuere deutsche Literatur)
Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Kulturwissenschaft
Förderung Förderung von 2016 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 298581842
 
Vom letzten Drittel des 18. bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts hat die Figur Ahasvers, des "Ewigen Juden", in der europäischen, insbesondere aber in der deutschen Literatur beträchtliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, jedoch ohne je zu kanonischer Gestalt zu gelangen. Spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und bis heute resultieren daraus philologische Versuche, Ahasvers literarische Gestalt in ihrer Identität als prototypischer "Fremder" und "Anderer", aber auch in ihrer adäquaten poetischen Form eindeutig zu bestimmen. Gegenüber dieser älteren Forschung korrigiert das vorliegende Projekt die Perspektive auf Figur und Narrativ des "Ewigen Juden" in dreifacher Hinsicht. Ein erster Punkt ergibt sich aus der Verschiebung des Fokus von der je schon konstituierten Gestalt auf die literaturgeschichtliche Genese und Transformation der Figur Ahasver, auf die poetische Bearbeitung und Modellierung einer Identität, die die Konfrontation als "Fremder" mit einem etwaigen "Eigenen" erst gestattet. Dabei tritt nicht nur die erwartbare Interdependenz von Eigenem und Anderem zutage, sondern darüber hinaus auch eine ausgesprochene Familienähnlichkeit Ahasvers zu einigen traditionell als "deutsch" profilierten Figuren wie Faust oder dem romantischen Wanderer. Bestehen diese Ähnlichkeiten nicht allein in inhaltlichen oder motivischen Koinzidenzen, so betrifft der zweite Punkt die literarischen Formen, die Ahasver auf seiner Wanderung durch die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts durchläuft. Besonderes Augenmerk gilt dabei der vieldiskutierten Frage der poetischen Gattung, die es gestatten würde, dem jüdischen Wanderer zumindest literarisch eine Bleibe zu verschaffen. Abweichend von bisherigen Studien zielt das Projekt dabei nicht auf einen Katalog von Lieblingsgattungen, sondern umgekehrt auf die Analyse der strukturellen und narrativen Ausschlusskriterien, die etwa Ahasvers epische oder tragische Laufbahn durchkreuzt haben. Ein dritter Aspekt führt schließlich vom Motiv des Wanderers zur Wanderung des Motivs: Einerseits, weil Ahasver im 19. Jahrhundert zunehmend auch jenseits der Literatur in theoretischen Diskursen auftritt (etwa bei Marx, Nietzsche, Freud und Simmel); andererseits aber, weil sich über die antisemitischen Unterstellungen, denen die Figur vorzüglich dient, und deren jüdische Zurückweisung hinaus auch überraschende identifikatorische Effekte ausmachen lassen - im deutschen Nationalismus, der vorerst keine territoriale Heimat findet, wie in der Selbstreflexion der jüdischen Moderne als unaufhebbarer Diaspora. Als übergreifendes Ziel des Projekts lässt sich mithin die Erforschung der literarischen Figur Ahasver als Objekt identitärer Konstruktion, formaler Integration und identifikatorischer Adaption in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts benennen, deren diskursive Dynamik sich anhand gängiger differentieller Unterscheidungen wie der des "Fremden" vom "Eigenem" offensichtlich nicht hinreichend beschreiben lässt.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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