Die Rolle der Prosodie im Türkendeutschen
Final Report Abstract
Ziel des Projekts war es, das Türkendeutsch im Hinblick auf seine besondere Prosodie und deren Funktionen für Aufgaben der Gesprächsorganisation zu beschreiben. Dabei wurde auch der Frage nach dem Einfluss prosodischer Strukturen des Türkischen auf die Prosodie des Türkendeutschen nachgegangen. Auf der Basis eines interaktionslinguistisch orientierten Zugangs konnte gezeigt werden, dass die Prosodie des Türkendeutschen tatsächlich wesentlich zur Spezifik dieses Sprechstils bei der Lösung folgender Aufgaben der Gesprächsorganisation beiträgt: Bildung von Turnkonstruktionseinheiten und Turns: Die prosodische Phrasierung wird dazu verwendet, größere syntaktisch-semantische Einheiten in kleinere prosodische Einheiten zu unterteilen. Damit stehen im Türkendeutschen prosodische Einheiten in einem anderen Verhältnis zu syntaktischen und semantischen Einheiten als im Standarddeutschen. Ein Vergleich türkischer Konstruktionen mit $ey mit türkendeutschen Konstruktionen mit dines zeigt, dass sprachstrukturelle Unterschiede zwischen dem Deutschen und Türkischen relevant sind: Während im Türkischen die Wortstellung eine wesentliche Rolle für die Festlegung der Informationsstruktur spielt, werden im Türkendeutschen dafür - analog zum Standarddeutschen - Akzentuierungsmöglichkeiten genutzt. Gliederung von längeren Turns: Prosodische Strukturen bei Voranstellungen von ondan sonra (dt. und dann) in primär türkischen Konstruktionen zeigen Übereinstimmungen mit Voranstellungen von ,und dann', ,danach' etc. Beide Konstruktionen werden zur Gliederung von Erzählungen verwendet und weisen außerdem große Ähnlichkeiten mit prosodischen Strukturen des gesprochenen Türkisch auf. Als Diskontinuhätssignal spielt vor allem Rhythmus eine wichtige Rolle. Durch Rhythmisierung werden Folgen von Turnkonstruktionseinheiten als intern kohärent dargestellt, zugleich aber von den umgebenden Einheiten abgegrenzt. Rhythmus kann im Türkendeutschen durch Akzentisochronie einerseits oder rekurrente Akzentzuweisungsstrukturen andererseits hergestellt werden. Das geschieht unter Ausnutzung phonetisch-phonologischer Merkmale des Deutschen und des Türkischen. Für die Signalisierung von Kontrast sind gegenläufige finale Intonationskonturen und Rhythmus wichtige Ressourcen. Damit übernimmt die Prosodie die Rolle des adversativen Konnektors ,aber' sowohl hinsichtlich der Kontrastsignalisierung als auch hinsichtlich der Kohärenzherstellung. Vergleichbare prosodisch aufgearbeitete asyndetische kontrastive Äußerungen kommen im Standarddeutschen nicht vor. Organisation der Sprecher-Rezipienten-lnteraktion: Eine Untersuchung der prosodischen Strukturen von türkischen und deutschen Anhängseln (biliyormusun/biliyon mulbiliyon bzw. weißt du, wa, ne) zeigt, dass deren Einfluss auf den weiteren Gesprächsverlauf vor allem von ihrer Prosodie abhängt: Nur mit markierter prosodischer Gestaltung machen sie Rezipientensignale relevant. Türkische Anhängsel weisen dabei die typische türkische Frageintonation auf. Bei Rezeptions- und Rückmeldesignalen fällt der hohe vokalische Anteil auf. ha beispielsweise übernimmt verschiedene Funktionen in Abhängigkeit sowohl von der sequenziellen Struktur als auch von seinen prosodischen Eigenschaften. Die häufig vorkommenden türkischen Signale vay und ay haben je unterschiedliche Bedeutungen in Bewertungen, die sie auch von deutschen Entsprechungen wie ach und oh unterscheiden. Während vay vor allem der Kontextualisierung von Erstaunen und Ironie dient, signalisiert ay emotionale Zustände der Sprecher/innen. Nachbarschaftspaare mit vallah (wirklich), yemin et (schwöre) oder ciddi (echt/im Ernst) haben häufig gegenläufige finale Intonationskonturen und stellen eine besondere Form der Signalisierung von Erstaunen oder Ungläubigkeit dar. Dies gilt auch für die deutschsprachigen Äquivalente.
Publications
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Kern, Friederike (2007): "Rhythm in Turkish German talk-in-inleraclion". 10th Internalional Pragmalics Conference, Göteburg, 8.-13. Juni 2007.
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Kern, Friederike (2007): "Rhythmic patterns in Turkish-German talk-in-interaction". Research Group, Dep. of Languages and Linguistic Science, University of York, 30.1.2007.
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Kern, Friederike (2007): "Rhythmus im Türkendeutschen". 3. Konferenz zur Dynamik mobilisierter Kulluren (Schwerpunkl Migrationslinguistik). Potsdam, 29./30.11.2007.
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Kern, Friederike (2007): "Sprachenvielfalt als Ressource - Wie wir Sprachvarianten im Gespräch verwenden." Expolingua Berlin, mit Podiumsdiskussion, 17.11.2007.
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Kern, Friederike (2007); "Rechlferligen und Begründen - Zur Verwendung eines spezifischen Kontrastverfahrens im Türkendeutschen." Tagung "Konstruktionen in der Argumentation", Münsler, 15.6.-16.6.2007.
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Kern, Friederike (2008): Die Darstellung von Kontrast im Türkendeutschen - Merkmal eines Stils oder Eigenschaft einer Varietät? In: Ahrenholz, Bernt et al. (Hg.): Empirische Forschung und Theoriebildung. Beiträge aus der Soziolinguistik, Gesprochene-Sprache-Forschung und Zweilspracherwerbsforschung. Eine Festschrift für Norbert Dittmar zum 65. Geburtstag. Frankfurt/Main: Lang, 81-90.
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Selling, Margrel (2007): "Prosody and unil-construction in an ethnic style: the case of Turkish German and ils use and funclion in vonversalion." Vorlrag im Rahmen einer Tagung der Graduiertenschule ,Zur Dynamik mobilisierter Kulturen', Uni Potsdam, 29.-30.11.2007.
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Selling, Margret (2007): "Constructions with post-positionings in Standard and Turkish German." Vortrag auf dem Internalional Colloquium on Incremenls in a Cross-linguistic Perspective. Universiläl Polsdam, 5.-S. 10.2007.
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Selling, Margret (2007): "Prosody and unit-construction in an ethnic style: Ihe case of Turkish German and its use and function in Conversation." Vortrag auf der 10th International Pragmatics Conference, Göteborg, 9.-13.07.2007.
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Selling, Margret (2007): "Prosody and unit-construction in Turkish German." Vortrag im Kolloquium für linguistische Kommunikationsforschung, Uni Potsdam, Mai 2007.
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§imsek, Yazgül (2007): "Bewertungsstrukturen im ethnischen Stil Türkendeutsch." Vortrag auf der Jahrestagung der GAL in Hildesheim, 26.-2S. 09. 2007, Universität Hildesheim.