Simulation von Materialeigenschaften textiler Mehrschichtstrukuren und Nähte bei der virtuellen Passformkontrolle von Bekleidungstextilien
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Bei der Simulation von Bekleidungserzeugnissen wird das physikalische Verhalten von Kleidungstücken modelliert, die auf der Grundlage von zweidimensionalen Schnittteilen entstanden sind. Unter Berücksichtigung der Materialeigenschaften der Textilien erfolgt die Visualisierung an einem Avatar, die dem Designer und dem Konstrukteur Informationen über die Passgenauigkeit und das realistische Aussehen vermitteln soll. Materialverarbeitungsvarianten und Nähnähte, die sich signifikant auf das Fallverhalten von textilen Flächengebilden auswirken, werden in kommerziell verfügbaren Softwarelösungen nicht berücksichtigt, da bisher keine Prüfempfehlungen, Kennwerte und Informationen zu signifikanten Einflussgrößen vorlagen. Dementsprechend wurde die Simulation auf mehrlagige Bereiche textiler Produkte und variable Verbindungen erweitert. Das Vorhaben, die Materialeigenschaften von textilen Mehrschichtstrukturen und Nähnähten zu ermitteln und für die Simulation und virtuelle Passformkontrolle bereit zu stellen, wurde erfolgreich abgeschlossen. Nach Materialauswahl, -prüfung und Schnittkonstruktion erfolgte die Fertigung von Demonstratorprodukten. Anhand der Ergebnisse des Antragstellers wird die Sinnfälligkeit dieser Vorgehensweise nachgewiesen. Weiterführende Untersuchungen betrafen unter anderem die Ermittlung des Einflusses der Winkellagen von Nähnähten. Des Weiteren wurden zusätzliche Kennwerte zum Kraft-Dehnungs- und Torsionsverhalten erfasst sowie Möglichkeiten zur Aufzeichnung der Biegekurve bei Prüfungen an Nähnahtproben ermittelt. Diese Kennwerte wurden dem Projektpartner zur Modellierung und Simulation zur Verfügung gestellt. Untersuchungen zu den Kraft-Dehnungs-Eigenschaften längs der Nähnähte ergaben, dass die eingebrachten Nähnähte und mehrlagige Aufbauten im Nahtbereich zu einem veränderten Dehnungsverhalten führen. Das zu vernähende Material hat dabei einen signifikanten Einfluss auf die Auswirkungen durch Nähnähte. Diese Auswirkungen unterscheiden sich bei Doppelsteppstichnähten und Safetynähten in der Höhe. Generell lässt sich feststellen, dass die zunehmende Materialdehnung aufgrund der Winkellage des Gewebes durch Nähnähte reduziert wird. Die Biegeprüfungen mit unterschiedlichen Nähnahtwinkellagen wurden nach dem Cantilever-Prinzip mit dem ACPM 200 ausgeführt. Das am ITM entwickelte Gerät ACPM 200 bietet die Vorteile, dass Eigenschaftsänderungen infolge lokaler Flächenmasseunterschiede über der Probenbreite ermittelt werden können und dies auch für voluminöse oder verhältnismäßig dicke Materialien möglich ist. Die Biegesteifigkeit eines Materials mit Nähnaht erhöht sich im Bereich der Nähnaht deutlich. Sie kann abhängig von Materialaufbau und Winkellage der Nähnaht die doppelte bis dreifache Biegesteifigkeit des Gewebes gleicher Prüfrichtung ohne Nähnaht annehmen. Dabei wirkt sich der Einfluss der Nähnaht noch bis zu einem Bereich von ca. 50 mm links und rechts der Nähnaht aus. Die Ermittlung der Torsionseigenschaften wurden mit dem Prüfsystem HAVO-360 durchgeführt. Mit diesem Prüfgerät wurden die Drehmoment-Winkel-Kurven erfasst. Da die Datengewinnung mit dem KES-FB-Gerätesystem sehr aufwendig und die Anschaffung des Gerätesystems kostenintensiv ist, wurde die erforderliche Kennwertermittlung mittels kommerziell verfügbarer Technik untersucht. Vergleichende Untersuchungen mit industrierelevanter Prüftechnik für die Prüfungen des Zug- und Biegeverhaltens an ein- und mehrlagigen Materialien und vernähten Strukturen erbrachten vergleichbare Ergebnisse im Kraft-Dehnungsverhalten und ein tendenziell ähnliches Verhalten im Biegeversuch (ACPM 200 – KES-FB2-Biegeprüfung). Ein Vorschlag für die Scherprüfung wurde erarbeitet. Die Ergebnisse der Scherprüfung nach dem Scherrahmenprinzip und mittels KES-FB1-Gerätetechnik wurden erfasst und gegenübergestellt. Aufgrund der unterschiedlichen Prüfprinzipien ist ein direkter Vergleich der Messwerte nur bedingt möglich. Die ersten Untersuchungen zeigten aber auch hier nach beiden Prüfprinzipien ein tendenziell ähnliches Verhalten. Eine Identifikation der Materialparameter mit gebräuchlicher und kostengünstiger Prüftechnik wird der Industrie die Zugänglichkeit zu Materialkenngrößen erleichtern und somit indirekt die Anstrengungen nach hochwertigen, physikalisch exakten Simulationen beschleunigen. In dem Forschungsprojekt wurde der Einfluss von Materialverarbeitungsvarianten und Nähnähten auf die Materialparameter intensiv untersucht. Hierbei zeigte sich, dass aufgrund der Mehrlagigkeit die für eine Simulation wesentlichen Kenngrößen signifikant verändert werden. Des Weiteren erfolgte eine Einbeziehung dieser Kenngrößen in die Textilsimulation des Projektpartners mit dem Ziel, einer realen Darstellung der Bekleidungsprodukte unter Verwendung einer konkreten Materialbeschreibung der Textilien. Die untersuchten Kenngrößen und die Ergebnisse liegen vor und können zeitnah wirtschaftlich verwertet werden. Die kommerziell angebotenen 3D-Simulationsprogramme werden stetig weiter entwickelt. Bisher sind die erzielten Projektergebnisse jedoch noch nicht eingeflossen. Im Vordergrund steht nach wie vor eine gute optische Darstellung der Bekleidungserzeugnisse. Eine realistische Simulation unter Berücksichtigung der textilphysikalischen Eigenschaften des konkreten Materials zur Reduzierung der Prototypenfertigung, zur Einsparung von Arbeitszeit, Materialkosten und zur Erhöhung der Modellvielfalt ist derzeit nur eingeschränkt auf Basis einlagiger textiler Materialien und ohne Berücksichtigung der Einflüsse der angewandten konfektionstechnischen Verfahren möglich. Somit muss die Überführung der Projektergebnisse in die Simulationsalgorithmen für textile Produkte angestrebt werden. Die im Projekt durchgeführten Forschungsarbeiten haben den state-of-the-art der Textilsimulation vorangetrieben, insbesondere in den Bereichen der Simulation des textilen Biegeverhaltens sowie bei der Kollisionsdetektion und -behandlung. Nichtsdestotrotz gibt es weiterhin große vielversprechende Forschungsfelder im Bereich der Textilsimulation. Der klassische Ansatz zur Kollisionsbehandlung etwa erzeugt die kollisionsvermeidenden Impulse unabhängig im Anschluss an die Kernsimulation. Neue Arbeiten beziehen die Kollisionskräfte in die Simulation ein. Dadurch wird die Kollisionsantwort global, im Gegensatz zu den lokalen Korrekturen im entkoppelten Ansatz. Diese wünschenswerte Eigenschaft führt jedoch zu signifikanten numerischen und algorithmischen Problemen, etwa ist eine Konvergenz beim Lösen der linearisierten Gleichungssysteme nicht mehr garantiert. Der Ansatz ist jedoch vielversprechend und könnte zu einer vereinheitlichten, schnelleren und einfacheren Simulationen führen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
-
Exploiting Parallelism in Physically-Based Simulations on Multi-Core Processor Architectures, in: Eurographics Symposium on Parallel Graphics and Visualization (EGPGV 2007), 2007
Thomaszewski, B.; Pabst, S.; Blochinger, W.
-
Asynchronous Cloth Simulation, in: Computer Graphics International (CGI 2008), 2008
Thomaszewski, B.; Pabst, S.; Strasser, W.
-
Closer to reality. textile network, 6 (2008) 10, S. 30-36
Krzywinski, S., Schenk, A., Haase, E., Pabst, S., Thomaszewski, B.
-
Seams and Bending in Cloth Simulation, in: EG Workshop on Virtual Reality Interaction and Physical Simulation (VRIPHYS), 2008
Pabst, S.; Krzywinski, S.; Schenk, A.; Thomaszewski, B.
-
Anisotropic Friction for Deformable Surfaces and Solids, in: Symposium on Computer Animation (SCA), 2009
Pabst, S.; Thomaszewski, B.; Strasser, W.
-
Continuum-based Strain Limiting, in: Computer Graphics Forum (Proceedings of Eurographics), 2009
Thomaszewski, B.; Pabst, S.; Strasser, W.
-
Berücksichtigung der Materialeigenschaften textiler Mehrschichtstrukturen und Nähte in der Simulation und virtuellen Passformkontrolle von Bekleidung. Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (2010)
-
Fast and Scalable CPU/GPU Collision Detection for Rigid and Deformable Surfaces, in: Symposium on Geometry Processing (SGP), 2010
Pabst, S.; Koch, A.; Strasser, W.