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Geschlechterrollen und ihre äußerliche Erscheinung in den Anstands- und Benimmbüchern der letzten Periode des Osmanischen Reiches und der frühen Republik
Antragstellerin
Professorin Dr. Ulrike Freitag
Fachliche Zuordnung
Islamwissenschaft, Arabistik, Semitistik
Förderung
Förderung von 2016 bis 2019
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 301932711
Die inneren und äußeren Erschütterungen, die alle sozialen Institutionen des Osmanischen Reiches im 19.Jh.durch die Einflüsse Europas erfasst hatten, lösten eine Suche nach neuen Werten bzw. nach neuen Ausdrucksformen für alte Werte aus.Dies geschah auf geistiger und äußerlicher Ebene für die gesamte Lebensgestaltung. Die bürgerliche Etikette Europas gewann größere Bedeutung, weil sie als Ausdruck der technisch-zivilisatorischen Überlegenheit Europas angesehen wurde. Auch im Alltagsleben stellte man bestehende Regeln und Gewohnheiten in Frage und statt auf die Jahrhunderte alte Tradition einer eigenen Anstands- und Benimm-Literatur zurückzugreifen, übersetzte oder verfasste man Bücher, die den westlichen (französischen) Lebensstil behandelten. Es scheint jedoch, dass die Inhalte mit den eigenen traditionellen Werten abgestimmt bzw. ihre Kompatibilität diskutiert wurden. Nach Gründung der Republik nahm die Zahl der Benimmbücher zu, und sie vermittelten westliches Benehmen viel entschiedener. So wurden Vorstellungen von einer zivilisierten modernen Gesellschaftsordnung von den Eliten übernommen und Teil der Volkserziehung. Die Benimmbücher erfassen grundsätzlich alle Bereiche des täglichen Lebens, und die in ihnen formulierten Inhalte wurden oft als zulässiger oder unzulässiger Eingriff in die traditionelle Routine verstanden. Gewiss sind Ess- und Kleidungsgewohnheiten auch Indikatoren einer Transformation (Modernisierung), einschneidender erscheinen die veränderten Rollen von Mann und Frau im privaten und öffentlichen Raum, weil gerade dadurch das herkömmliche Selbstverständnis der traditionellen Gesellschaft in Frage gestellt wurde. Anstands- bzw. Verhaltensregeln sind keineswegs nur eine Formalität, sondern transportieren präzise Gesellschaftsbilder. Daher stehen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses die Geschlechterrollen, ihre äußerliche Erscheinung und ihre Veränderung in der Anstands-und Benimmliteratur spätosmanischer und frührepublikanischer Zeit, ob es sich dabei um eine Aktualisierung bzw. Neuschöpfung bestehender kultureller Inhalte und Formen oder um die oft nur eklektische Übernahme von Elementen der westlichen (europäischen) Kultur handelt. Gleichzeitig soll die Bedeutung der Anstands- und Benimmliteratur als Normierungsversuch für eine Modernisierung herausgearbeitet werden, ob als normsetzende oder als post festum bestätigende Instanz. Wie erfolgreich berücksichtigen diese Texte unterschiedliche Normensysteme? Inwieweit spiegeln und registrieren sie die jeweils geltenden Normen für Frauen und für Männer, und inwiefern verstärken sie die Normen? Welche Spannungen gibt es zwischen neuen und alten Geschlechterrollen? Welche Rolle spielten Benimmbücher im Prozess der Nationwerdung? Gibt es inhaltliche Unterschiede zwischen spätosmanischen und republikanischen Benimmbüchern? Auch bei diesen Fragen sind Benimmbücher, die die Geschlechterrollen und ihre äußerliche Ausprägung spezifisch behandeln, zentraler Untersuchungsgegenstand.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen