Identifikation von LGM-Refugien und maximaler Höhenstufenabsenkung in Südtibet durch biogeographisch-phylogenetische Untersuchungen an Hochgebirgs-Laufkäfern (Coleoptera, Carabidae): Ein Beitrag zur Umweltgeschichte des Tibetischen Hochlandes.
Final Report Abstract
Im Projektverlauf ergaben sich folgende neue und überregional für die Quartärforschung wichtige Ergebnisse: 1. Im Transhimalaya konnten über 100 lokalendemische Laufkäferarten nachgewiesen werden. Diese erreichen selbst in den zentralen Teilen Südtibets noch einen Anteil von 60-75 % in den lokalen Laufkäferfaunen. An der Südabdachung des Nyainqentanglha Shan besitzt nahezu jedes Seitentalsystem seine eigene Ausstattung an Mikroareal-Endemiten. Die LGM-Refugien dieser Endemiten befanden sich talwärts verschoben im selben Gebirgsabschnitt, in dem sie heute vorkommen. Aufgrund dieser Befunde ist ein eiszeitliches tabula rasa Szenario ausgeschlossen: Einen Tibetischen Eisschild, wie von Kuhle (2001) hypothetisiert, hat es nicht gegeben. Die Laufkäferergebnisse am Nyainqentanglha Shan bestätigen stattdessen die geomorphologischen Befunde einer verstärkten Lokalvergletscherung von Lehmkuhl et al. (2002). Auch konnte das Hochland von Tibet keine Kältewüste gewesen sein. In Südtibet herrschten auch im LGM Umweltbedingungen mit ausreichend Sommerwärme und Niederschlägen, die das Überdauern einer artenreichen alpinen Bodenfauna ermöglichten. 2. Auch der Innere Himalaya war wesentlich weniger stark vergletschert, als von Kuhle angenommen. Das Eisstromnetz mit den von diesem Autor postulierten über 1000 m mächtigen Durchbruchstalgletschern hat es nicht gegeben. Stattdessen weisen die Laufkäferbefunde aus dem zentralen Nepal-Himalaya nicht nur auf ausgedehnte alpine Refugialgebiete im Inneren Himalaya hin, sondern machen sogar die Existenz von LGM-Waldrefugien (mit Arten der Oberen Nebelwaldstufe) in den Durchbruchstälern unmittelbar nördlich des Himalaya-Hauptkammes wahrscheinlich. Dies ist ein gänzlich neuer Aspekt für die jüngste Umweltgeschichte des Himalaya und kann zukünftig durch eine intensivierte phylogeographische Analyse der lokalen Laufkäferfaunen verifiziert werden. 3. Auch in früheren Kaltzeiten des Quartärs kam es sehr wahrscheinlich nicht zur Bildung eines Eisschildes im Sinne von Kuhle. Die Entwicklung endemischer, flügelloser Linien der Laufkäfer in den Gebirgen Südtibets erfolgte nach den bisherigen morphologischen Untersuchungen sehr wahrscheinlich bereits im Mio-Pliozän, spätestens aber im frühen Quartär. Seitdem kommt es hier zu einer kontinuierlichen Evolution geographisch vikariierender Neoendemiten. Diese Entwicklung wurde durch kein kaltzeitliches tabula rasa je unterbrochen. Die Phylogeographie der Laufkäfer stellt geeignete Werkzeuge zur Verfügung, um in Zukunft eindeutige Aussagen zur maximalen Ausdehnung der Vergletscherung Tibets in früheren Kaltzeiten zu treffen. 4. Die Identifikation von lokalendemischen Taxa der Laufkäfer und die Kartierung der Lage ihrer horizontalen und vertikalen Arealgrenzen ermöglichte die Entwicklung einer neuen Methode zur Ableitung der Temperaturabsenkung für den LGM-Sommer in Hochgebirgen. An der Südabdachung des westlichen Nyainqentanglha Shan betrug die LGM-ΔT 3-4K. Dieser Wert schränkt den aus bisherigen geowissenschaftlichen Szenarien verfügbaren Wertbereich von 0-6K für dieses Gebiet erheblich ein. Die hier entwickelte Methode hat gegenüber bisher verwendeten Paläoumwelt-Proxys mehrere Vorteile: 1) Sie liefert belastbare, durch Hinzuziehung weiterer Endemiten überprüfbare Daten. 2) Sie ist unabhängig von Datierungsproblemen, da sie sich zwangsläufig auf das LGM bezieht. 3) Sie ist unabhängig von Lagerstätten und kann deshalb flächendeckend angewendet werden unter der Voraussetzung der Existenz von Lokalendemismus. 5. Die im Verlaufe des Projekts entwickelten biogeographischen Methoden sind geeignet, die Paläoumweltverhältnisse zukünftig sowohl für ganz Hochasien als auch für andere Hochgebirge der mittleren und niederen Breiten zu rekonstruieren.
Publications
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