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Leben im Transit: Dampfschiffpassagen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert
Antragsteller
Professor Dr. Roland Wenzlhuemer
Fachliche Zuordnung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung
Förderung von 2016 bis 2021
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 312104974
Leben im Transit gehört zu den zentralen Merkmalen des 21. Jahrhunderts. Soziale Ordnungen entwickeln sich heute unabhängig von territorialen Grenzen. Bewegung, Übergang und Austausch formen die Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich gegenwärtige Gesellschaften neu erfinden. Dieses Projekt will solche aktuellen Phänomene in einen größeren historischen Kontext einbetten, indem es sich mit vergangenen Globalisierungserfahrungen auseinandersetzt. Hierzu sollen Dampfschiffe als beispielhafte historische Transiträume untersucht werden, ebenso wie die Personen in diesen Räumen, die als Protagonisten der Globalisierung von der Forschung bislang vernachlässigt wurden. Das Dampfschiff als Lebenswelt zu betrachten heißt auch, ein zentrales Symbol der modernen Welt unter das Vergrößerungsglas zu legen. Es öffnet den Blick auf soziale Ordnungen im Transit. Passagiere auf langen Schiffsreisen fanden sich in teilweiser Suspension, wurden ungefragt Teil einer künstlichen Gemeinschaft auf hoher See. Ohne den vertrauten Rahmen an Land mussten soziale Beziehungen wieder etabliert, neu bekräftigt und den Gegebenheiten an Bord angepasst werden. Die isolierte Phase des Transits bekam einen nachhaltig prägenden Charakter: Sie wurde zur Bühne von gruppen- und identitätsbildenden Prozessen. Darüber hinaus waren solche Prozesse eng mit der Zeit vor und nach der Reise verbunden. Im Transit hingen die Passagiere in der Luft. Genauso wie sie Pläne für die Zukunft schmiedeten, reflektierten und rekonstruierten sie auch ihre Vergangenheit. Dieses Projekt untersucht den Raum des Dampfschiffes als außerordentlichen historischen Schauplatz, in dem die Reisenden ihrem Umfeld und ihrer eigenen Position darin Sinn verleihen mussten. Das Projekt fragt, wie historische Akteure auf langen Überseepassagen ihre sozialen Stellungen während dieser Transitphase aushandelten. Es analysiert gemeinschaftsbildende Prozesse ebenso wie die Besonderheiten sozialer Ordnungen auf dem Schiff. Wie entstand ein Gemeinschaftsgefühl an Bord? Wie versuchten die 'Passagiere' sich auf dem Schiff der Gültigkeit von Kriterien wie sozialer Status und nationale Identität zu vergewissern, die zuvor auf dem Festland gegolten hatten? Was waren die emotionalen, psychopathologischen und physiologischen Konsequenzen des Im-Transit-Seins? Wo begann die Reise, wo lag ihr Ende? Das Hauptziel des Projektes ist es, unser Verständnis von globalen Verbindungen neu zu denken und damit auch die daraus schöpfenden Historiografien - Verflechtungsgeschichte, Globalgeschichte - einer Neubewertung zu unterziehen. Das Projekt versteht Transit nicht nur als spezifisches Stadium sondern auch als epistemologisches Paradigma. Es kombiniert Ansätze aus der Sozial- und Kulturgeschichte sowie aus der digital history, um die sozialen, kulturellen und politischen Auswirkungen des Transits auszuleuchten, die wir auch in der heutigen Welt deutlich spüren. Letztlich ergeben sich daraus neue Wege, Globalgeschichte zu erfassen und zu erzählen.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
Internationaler Bezug
Schweiz
Mitverantwortlich
Professor Dr. Martin Dusinberre