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Mahayana in Europa. Japanische Buddhisten und ihr Beitrag zum wissenschaftlichen Wissen über Buddhismus im Europa des 19. Jahrhunderts

Fachliche Zuordnung Asienbezogene Wissenschaften
Religionswissenschaft und Judaistik
Förderung Förderung von 2016 bis 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 313000274
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Der Bekanntheitsgrad und die Popularität des Buddhismus in Europa heute haben eine lange Vorgeschichte. Weithin anerkannte Eckpunkte dieser Geschichte sind die Briefe jesuitischer Missionare aus Asien um 1600 mit den ersten Berichten über den Buddhismus; die Monographie Introduction à l’histoire du Buddhisme indien von Eugène Burnouf aus dem Jahre 1844; die Teilnahme von Buddhisten am Weltparlament der Religionen in Chicago 1893; und die englischsprachigen Publikationen des Zen-Gelehrten D.T. Suzuki seit dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. In diesem Tableau fehlt freilich ein entscheidender Beitrag am Übergang vom noch bruchstückhaften Wissen über die vielen regionalen Ausprägungen des Buddhismus zur Entfaltung der Buddhologie als vollentwickelter wissenschaftlicher Disziplin, nämlich der japanischer Buddhisten, die in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts im Dialog mit europäischen Orientalisten standen. Diese Kontakte setzten früher ein als das Weltparlament der Religionen oder die Publikationen Suzukis, waren aber auch in anderer Hinsicht von diesen verschieden. Es waren nämlich nicht Vertreter des Zen, sondern v.a. Angehörige der Reine-Land-Schulen, die seit den 1870er Jahren im Ausland aktiv waren. Insbesondere die Wahre Schule des Reinen Landes (Jōdo Shinshū) war schon in der Bewegung zur Reform des Buddhismus innerhalb Japans seit Mitte des 19. Jahrhunderts führend. Sie gab die entscheidenden Impulse in der zentralen innerbuddhistischen Auseinandersetzung dieser Zeit über die Zugehörigkeit des Buddhismus zur neuen Kategorie Religion. Religion wurde im Verhältnis zur ebenfalls neuen Kategorie Philosophie diskutiert, aber auch in dem zur Wissenschaft. Eine der zentralen Einsichten des hier zusammengefassten Projekts ist, dass sich in dieser Diskussion bis ca. 1900 als hegemonial zunehmend eine Auffassung herausschält, die gängigen Annahmen zuwiderläuft. Japanische Buddhisten neigten nämlich entgegen der in der europäischen Orientalistik des 19. Jahrhunderts vorherrschenden Idee, dass der Buddhismus in seinem Wesen eine Philosophie sei, zunehmend der Auffassung zu, dass der Buddhismus eine Religion im emphatischen Sinne ist, d.h. ein Phänomen, das wesentlich auf Glauben gründet. Diese Position bildete sich nicht zuletzt in Auseinandersetzung mit den modernen Naturwissenschaften heraus: Im Gegensatz zu klischeehaften Behauptungen über die Identität von Buddhismus und Wissenschaft sahen die meisten japanischen buddhistischen Denker um 1900 Religion eher als eine Ergänzung zum wissenschaftlichen Weltbild, die Zugriff auf eine andere, eben religiöse, Wahrheit erlaubt, die mit rational-wissenschaftlichen Methoden nicht zugänglich, darum aber nicht weniger wahr, ist. Diese Sicht auf den Buddhismus deckte sich zunehmend mit Argumenten in der europäischen Diskussion über Religion allgemein, die sich um 1900 in Richtung einer Betonung der spirituellen Dimension bewegte. Die Rezeption des japanischen Buddhismus fand unter diesen Vorzeichen statt, und die Vertreter des Reine-Land-Buddhismus konnten mit der in ihrer Schule tradierten Betonung des Aspekts des Glaubens leicht Gehör finden. Sie trugen gegen Ende des 19. Jahrhunderts entscheidend zur Akzeptanz des Mahāyāna-Buddhismus in Europa bei, so dass auch hartnäckige Vertreter der Überlegenheit des ‚ursprünglichen Buddhismus‘ wie Friedrich Max Müller letztlich den Mahāyāna nicht mehr ignorieren konnten. In der europäischen religionswissenschaftlichen Literatur seit den 1880er Jahren spielte der Mahāyāna innerhalb von Darstellungen des Buddhismus eine immer größere Rolle, und es waren häufig die europäischsprachigen Veröffentlichungen japanischer Buddhisten, die hier zitiert wurden – Beispiel für ein erfolgreiches agenda setting durch Nicht-Europäer, das gängigen orientalismuskritischen Vorstellungen der Hegemonie Europas in der Wissensordnung des 19. Jahrhunderts diametral zuwiderläuft.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2019): „Orientalism and the Study of Lived Religions. The Japanese Contribution to European Models of Scholarship on Japan around 1900“. In: Engberts, Christiaan; Paul, Herman (Hrsg.): Scholarly Personae in the History of Orientalism, 1870–1930. Leiden: Brill, S. 143–171
    Krämer, Hans Martin
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1163/9789004406315_008)
  • (2019): „‚Even Three-Year-Old Children Know That the Source of Enlightenment is not Religion but Science‘. Modern Japanese Buddhism between ‚Religion‘ and ‚Science‘, 1860s–1910s“. In: Journal of Religion in Japan 8: 98–122
    Krämer, Hans Martin
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1163/22118349-00801005)
  • (2020): „Hara Tanzan and the Japanese Buddhist Discovery of ‚Experience‘“. In: Journal of Religion in Japan
    Licha, Stephan
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1163/22118349-20200001)
  • (2020): „Hara Tanzan. Shinriteki zen to jikken no tankyū“. In: Dake Mitsuya; Yoshinaga Shin’ichi; Ōmi Toshihiro (Hrsg.): Nihon bukkyō to seiyō sekai. Kyōto: Hōzōkan, S. 165–193
    Licha, Stephan
  • (2020): „Shimaji Mokurai. Kindai Nihon ni okeru kagaku to shūkyō“. In: Dake Mitsuya; Yoshinaga Shin’ichi; Ōmi Toshihiro (Hrsg.): Nihon bukkyō to seiyō sekai. Kyōto: Hōzōkan, S. 139–163
    Krämer, Hans Martin
 
 

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