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Stadtkultur und Resilienz: Das Fastnachtspiel auf Nürnbergs Bühnen vor und nach der Reformation

Fachliche Zuordnung Germanistische Mediävistik (Ältere deutsche Literatur)
Förderung Förderung von 2016 bis 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 313809822
 
Das Projekt untersucht die Bewältigungs-, Anpassungs- und Transformationspotentiale reichsstädtischer Kultur angesichts der radikalen Umbrüche des 16. Jahrhunderts. Das Nürnberger Fastnachtspiel diente seiner Trägergruppe als Medium der Selbstbeobachtung und -regulierung: Das dem Zunftverbot und dem Rugamt unterstehende Handwerkertum vermittelt gerade im späten Fastnachtspiel moralische Lehren und praktische Lebensanleitungen und ruft zum Erhalt des städtischen Friedens auf. Damit spiegelt es angesichts der politischen, ökonomischen und konfessionellen Erschütterungen im Zuge der Reformation geradezu die diplomatische Haltung des Regiments des ebenso proreformatorischen wie kaisertreuen Nürnbergs wider. Folglich ist zu prüfen, ob die im Fastnachtspiel demonstrierte Ordnungsbestätigung eine Form politischer Partizipation der von der Herrschaft ausgeschlossenen Handwerker darstellt. In der ersten Förderphase untersucht das Projekt sich verändernde Muster in den nachreformatorischen Spielen. Einseitige, die Spiele des 16. Jahrhunderts als neubeginnendes Moraldrama auslegende Deutungsmodelle werden mithilfe des Resilienzkonzepts hinterfragt: Als Kommunikations- und Ausdrucksmedium der Handwerksmeister wie als Form literarischer Krisenbewältigung zeigt sich das Fastnachtspiel traditionsgebunden und zugleich innovativ und anpassungsfähig an die Anforderungen seiner jeweiligen Gegenwart. Die Spiele übersetzen krisenhafte Erfahrungen in fiktive Möglichkeitsräume und verarbeiten Momente der Verunsicherung. Ihr performativer Charakter ermöglichte die direkte Wirkung literarisch erarbeiteter und dramatisch erprobter Bewältigungsstrategien auf die Rezipienten. Die geplante Analyse schafft somit Grundlagen für eine neue Entwicklungsgeschichte der frühen volkssprachlichen Dramatik im Zeithorizont zwischen 1440 und 1618. Zu fragen ist, welche akteursspezifischen Netzwerke und stadträumlichen Ressourcen auf das Fastnachtspiel einwirken. Die Analyse verdichteter urbaner Kommunikationssituationen ermöglicht die Entschlüsselung tradierter Muster und Motive, moralisch-didaktischer Tendenzen, ästhetischer Weiterentwicklungen sowie sozialer Normierungen als Antwort auf Umbruchssituationen. Ziel des Projekts ist die Untersuchung der besonderen Qualität von Übersetzungen als Resilienzstrategie in dieser Gattung, die neue Impulse für Wissenskulturen sowie für andere literarische Genres und wissenstransferierende Medien generierte. In einer zweiten Förderphase soll die Auseinandersetzung des Nürnberger Fastnachtspiels mit neuen dramatischen Formen (Schultheater, Wanderbühne) untersucht werden. Das Ende der Gattung Anfang des 17. Jahrhunderts lässt vermuten, dass sie als resilienzstiftendes Medium ausgedient hatte. Die These, dass just die angesichts der Reformation wirksamen Bewältigungsstrategien nun Vulnerabilitäten und den (durch Aufführungsverbote bewusst herbeigeführten) Abbruch der Tradition begünstigten, trägt zur Erforschung der Folgedynamiken von Resilienz bei.
DFG-Verfahren Forschungsgruppen
 
 

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