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In Würde sterben? Die Debatte um das menschliche Lebensende in beiden deutschen Staaten, 1945-2000
Antragsteller
Dr. Florian Greiner
Fachliche Zuordnung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung
Förderung von 2016 bis 2021
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 315143844
Die Suche nach einem „würdevollen“ Tod ist Teil der Auseinandersetzung um den Stellenwert des Sterbens in modernen, säkularen Gesellschaften. Wo ist der „beste“ Ort zum Sterben? Welche Rolle sollen Krankenhäuser spielen? Wie lange sollte das Lebensende mit Hilfe des medizinischen Fortschritts verlängert werden? Immer wieder war dabei auch und gerade nach 1945 von einer vermeintlichen „Tabuisierung“ des Todes die Rede, deren sinnfälligster Ausdruck das „anonyme“ Sterben in den Kliniken sei. Das Projekt untersucht diese gesellschaftliche Auseinandersetzung um das Lebensende in beiden deutschen Staaten und fragt nach Inhalten und Akteuren. Was machte für Zeitgenossen einen „guten Tod“ aus und mit welchen Mitteln wurde versucht, ein selbstbestimmtes „Sterben in Würde“ zu gewährleisten? Der in den Nachkriegsjahren einsetzende Untersuchungszeitraum konzentriert sich auf die Blütezeit der Debatten seit Mitte der 1960er Jahre und endet mit der Jahrtausendwende, schließt also den Wiedervereinigungsprozess ein. Der – um internationale Ausblicke ergänzte – deutsch-deutsche Vergleich berücksichtigt zum einen die unterschiedlichen politischen Konturen der beiden Staaten, nimmt zum anderen aber auch längere Traditionslinien und die gemeinsame NS-Vergangenheit von Bundesrepublik und DDR in den Blick. Ausgangspunkt ist die Hypothese, dass das Sterben nach 1945 systemübergreifend Prozessen der Ausdifferenzierung, Rationalisierung und Verwissenschaftlichung unterlag, die ihrerseits neue Deutungskämpfe um das menschliche Lebensende verursachten. So traten, nicht zuletzt aufgrund steigender Kosten, zunehmend mehr Akteure und verschiedene Interessen auf das Parkett: Kirchen, Pharmaindustrie, Gesundheitspolitik, Ärzte, Sozialwissenschaftler, Medien sowie neue zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Hospiz- und Sterbehilfebewegung partizipierten allesamt an der Debatte, die folgerichtig immer mehr öffentliche Breitenwirkung entfaltete. Entlang der drei Achsen der „Ökonomisierung“, „Popularisierung“ und „Solidarisierung“ untersucht das Projekt die Geschichte dieser Deutungskämpfe und wertet dabei eine Vielzahl publizierter und (z.T. erstmals erschlossener) archivalischer Quellen aus. Während die Geschichtswissenschaft das Thema Tod in Form von Begräbnis- und Sepulkralkultur vergleichsweise gut erforscht hat, ist das Sterben bislang noch nicht Gegenstand umfassender zeithistorischer Studien geworden. Dabei wird die Auseinandersetzung um das Lebensende als eine Sonde einer allgemeineren Gesellschaftsgeschichte begriffen, die Aufschluss über Konventionen, sozialen Wandel und vorherrschende normative Grundstrukturen geben wird. Sterben, so die Annahme, war stets ein Produkt von Aushandlungs- und Vermittlungsprozessen. Damit leistet die Studie u.a. einen Beitrag zu den zeitgeschichtlichen Kernthemen Verwissenschaftlichung, Subjektivierung und der Geschichte des Alterns.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
Mitverantwortlich
Professor Dr. Dietmar Süß