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Umwelt- und Klimavariabilität während des Mittelwürms in den Nordalpen

Fachliche Zuordnung Physische Geographie
Paläontologie
Förderung Förderung von 2016 bis 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 315987933
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt ALPWÜRM lieferte erstmals eine vollständige, hochauflösende Umweltrekonstruktion für das Marine Isotopenstadium 3, das einen Großteil des Mittelwürms repräsentiert, im nördlichen Alpenraum. Am 21 Meter mächtigen Sedimentprofil des Nesseltalgrabens (Berchtesgaden, SE-Deutschland) wurden biologische (Pollen, Bryophyten, Ostrakoden, Hölzer), geochemische (stabile Isotope, Elementvariationen) und sedimentologische (Korngröße und Mineralogie) Proxies detailliert untersucht. Das Altersmodell des Profils, beruhend auf 31 Radiokarbon-Datierungen und der paläomagnetischen Laschamp-Exkursion, erfasst den Zeitraum von 59 000 bis 29 600 Jahren vor heute. Fossilreste, insbesondere gut erhaltene Moossprosse, aber auch sporadisch vorkommende Muschelkrebs-Schalen, deuten auf das durchgehende Vorhandensein von unterschiedlichen Feuchtgebieten in der Umgebung des Nesseltalgrabens während dieses Zeitraums hin. Unmittelbar oberhalb der Basis des Profils, die durch eine vermutlich stadiale Diamikt-Lage gebildet wird, zeigen Pollenanalysen lichte Kiefernwälder mit geringen Anteilen anderer Baumarten (Fichte, Birke, Weide, Erle) an. Im weiteren Profilverlauf wechseln die Sedimentationsbedingungen rasch. Karbonatische Silte, die während Abschmelzereignissen von Lokalgletschern gebildet wurden, treten wiederholt auf. Die mächtigste dieser Gletschermilch-Ablagerungen wurde nach dem Kälteereignis sedimentiert, das im nordatlantischen Raum als Heinrich-Ereignis 5 (ca. 49 000 bis 47 000 Jahren vor heute) bezeichnet wird. Dies deutet auf eine teilweise Vergletscherung des Berchtesgadener Beckens während dieses Ereignisses und rasches Abschmelzen danach hin. Die Pollenanalysen zeigen während dieses Heinrich-Ereignisses erstmals einen gravierenden Rückgang der Waldpollen und eine mehrtausendjährige Waldsteppenphase. Während einer darauffolgenden wärmeren Phase, die mit den aus Eisbohrkernen bekannten Grönland-Interstadialen 12 und 11 parallelisiert werden kann, konnten sich wieder lichte Kiefernwälder etablieren. Ab 43 000 Jahren sanken die Temperaturen beträchtlich, und eine Tundra-Phase dauerte an, die lediglich durch drei kurze mildere Phasen unterbrochen wurde, die zeitlich mit den Grönlandinterstadialen 8, 6 und 5.1 korrelieren. Insbesondere während des ersten dieser Interstadiale konnte sich für wenige hundert Jahre der Wald wieder deutlich ausbreiten. Diese Phase fällt auch mit der Ablagerung einer mächtigen Torflage und mit einem Maximum in den Isotopenkurven der aus dem Sediment extrahierten Cellulose zusammen. Mittels des isotopischen Fingerabdruckes unterschiedlicher fossil erhaltener Pflanzengruppen konnten wir darlegen, dass dieses und andere Isotopenmaxima durch einen besonders hohen Cellulose-Anteil von höheren Pflanzen verursacht wird, während darauffolgende Isotopen-Minima sich durch einen hohen Anteil an Mooszellulose auszeichnen und damit mit Kühlphasen einhergingen. Die Isotopenvariationen liefern somit weitere wichtige Indizien über die lokale Vegetationszusammensetzung und die klimatischen Verhältnisse. Insgesamt führen die Projektergebnisse zu einem besseren Verständnis der Umweltbedingungen während einer bedeutenden, aber wenig untersuchten Phase des Würm-Glazials in den Alpen, die sich durch extrem rasche klimatische Wechsel auszeichnete. Die Untersuchungen ergaben auch, dass sich die in Isotopendaten alpiner Speläotheme und Eisbohrkernen abzeichnenden Klimaänderungen nicht immer eindeutig in den Sedimenten und deren Fossilinhalt widerspiegeln. Die im Projekt untersuchten biologischen Proxies, allen voran palynologische Daten, zeigen vielmehr, dass beispielsweise die Vegetation auf die Vielzahl an Dansgaard-Oeschger-Ereignissen im untersuchten Zeitraum jeweils unterschiedlich reagiert. Dies deutet auf ökologische Schwellenwerte (z.B. Frostresistenz, Reproduktionsstress) und nichtlineare Prozesse hin, die nicht bei jedem Klimaereignis die Vegetation in gleichem Maße beeinflussten. Die Projektergebnisse liefern damit auch einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Resilienz alpiner Ökosysteme gegenüber raschen Klimaveränderungen.

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