Der Ernst der Ehe: Heirat und Ehe im Spannungsfeld von Deinstitutionalisierung und rechtlicher Normierung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ziel des Forschungsprojekts war es, das Spannungsfeld zwischen individualisierten Deutungen und rechtlich-institutioneller Form der Ehe in seinen Auswirkungen auf handlungsleitende Deutungsmuster von angehenden Ehepaaren zu untersuchen. Dazu wurden qualitative Interviews durchgeführt, die narrative Anteile mit einer vorsichtigen Steuerung durch einen Leitfaden kombinierten. Die Paare wurden sowohl (relativ kurz) vor als auch ca. ein Jahr nach der Eheschließung befragt. Für das Sample waren nur heterosexuelle, erstheiratende Paare aus Westdeutschland vorgesehen, um die Komplexität des Projekts in handhabbaren Grenzen zu halten; rekrutiert wurden die Paare zu etwa gleichen Teilen aus großstädtischen, kleinstädtischen und ländlichen Settings. Die so erhobenen Daten wurden vorwiegend mittels rekonstruktiver Verfahren ausgewertet, insbesondere der Objektiven Hermeneutik; zusätzlich wurden codierende und kontrastierende Verfahren in Anlehnung an die Methodologie der Grounded Theory eingesetzt. Als erstes wichtiges Ergebnis ist festzuhalten, dass (in unserem Sample) ganz überwiegend nicht von einer De-Institutionalisierung des Sinns der Ehe ausgegangen werden kann. Bei deutlich über der Hälfte fanden wir eine säkularisiert-traditionale Orientierung, in der die Ehe als mindestens plausible, teilweise sogar zwingende Form der Beziehung für den Fall gilt, dass man die Person gefunden hat, mit der man eine stimmige Beziehung leben kann, die dementsprechend auch als auf Dauer angelegt gedacht wird. Als Untervariante dieser Orientierung kann man einzelne Fälle betrachten, bei denen die Eheschließung nicht von der ,richtigen Partnerschaft‘, sondern vom gemeinsamen Kind her begründet, der Sinn der Ehe also darin gesehen wurde, dass man (nur) verheiratet als ,richtige Familie‘ leben (und dies nach außen repräsentieren) könne. Bei einem weiteren Teil des Samples (etwa 15 Prozent) zeigte sich eine religiös-traditionale Orientierung, in der die Beziehung in ähnlicher Weise gesehen wird wie in der säkularisiert-traditionalen Sicht – der ,richtige‘ Partner/die richtige Partnerin ist gefunden, die Beziehung wird als auf Dauer gestellt erlebt –, das Motiv zur Eheschließung sich jedoch nicht aus einer weiter nicht begründbaren Gleichsetzung von dauerhafter Beziehung und Ehe speist wie in dieser, sondern aus dem christlichen Glauben. Nur bei zwei Fällen, also weniger als 10 Prozent unseres Samples, war das Motiv der Heirat rational-pragmatisch auf die Vorteile einer institutionalisierten Ehe gerichtet – oder, wie es auch ausgedrückt wurde, auf die Vermeidung der Nachteile, denen unverheiratete gegenüber verheirateten Paaren ausgesetzt sind. Auch die große Verbreitung konventioneller Rituale im Vorfeld der Hochzeit (romantisch oder feierlich ausgestalteter Heiratsantrag des Partners, soziale Formen wie Polterabend, Junggesellenabschied) spricht gegen eine starke De-Institutionalisierung der Ehe. Die rechtliche Form der Ehe wurde von den Befragten im wesentlichen als Ausdruck von Zusammengehörigkeit (häufig ausgedrückt im gemeinsamen Nachnamen), wechselseitiger Unterstützung (gerade in finanzieller Hinsicht) und Verantwortungsübernahme (etwa bei Krankheit) gedeutet, also in Übereinstimmung damit, wie sie ihre Beziehung interpretieren. Diese erlebte Übereinstimmung geht allerdings häufig mit eher vagen und ungenauen Kenntnissen einschlägiger rechtlicher Aspekte (etwa: Bedeutung der Zugewinngemeinschaft oder von Vollmachten im Krankheitsfall) einher.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2019): Übergänge in die Ehe: Paare zwischen Eigenständigkeit und familialer Bindung. In: Komplexe Dynamiken globaler und lokaler Entwicklungen. Verhandlungen des 39. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Göttingen 2018
Wutzler, Michael/Klesse, Jacqueline
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(2020): Welche Passage, welche Bestätigung? Paarbiografische Transformationsprozesse im Spannungsfeld von Eigenständigkeit und familaler Bindung. In: Thiersch, Sven (Hrsg.): Qualitative Längsschnittforschung – Bestimmungen, Forschungspraxis und Reflexionen. Opladen: Verlag Barbara Budrich, S. 221-248
Klesse, Jacqueline/Wutzler, Michael
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(2020): „Für mich war das schon immer klar, dass wir eigentlich den Namen von meinem Mann annehmen“ – Verhandeln heterosexuelle Paaren ihren Ehenamen? Forum Qualitative Sozialforschung. 21(3), Art. 10
Wutzler, Michael
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(2021): Kindorientierte Eheschließung revisited. Wie beziehen sich Paare in Deutschland bei ihrer Eheschließung auf Kinder. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 46(3), S. 279-299
Klesse, Jacqueline/Wutzler, Michael
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(2021): Paarbeziehungen heute: Kontinuität und Wandel. Weinheim/Basel: Beltz Juventa
Wutzler, Michael/Klesse, Jacqueline (Hrsg.)
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(2021): Zwischen Absicherung, Irrelevanz und Infragestellung der Liebe: Deutungen heiratender Paare in der Thematisierung und Aushandlung von Eheverträgen. In: Zeitschrift für Rechtssoziologie 41(1), S. 97-133
Wutzler, Michael
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(2021): „Doppelnamen find ich blöd. Das klingt so nach emanzipierter Frau.“ – Wie heterosexuelle Paare die Wahl ihres Ehenamens begründen. In: Wutzler, Michael/Klesse, Jacqueline (Hrsg.) (2021): Paarbeziehungen heute: Kontinuität und Wandel. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 150-178
Wutzler, Michael
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(2021): „Und jetzt hat man eben manchmal das Gefühl, dass die Entscheidung zur Ehe ne Entscheidung gegen den gesellschaftlichen Mainstream is“ – Ehe im Zeitalter der Singularisierung. In: Wutzler, Michael/Klesse, Jacqueline (Hrsg.) (2021): Paarbeziehungen heute: Kontinuität und Wandel. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 123-149
Horn, Carsten