Detailseite
Transnationale Solidaritätskonflikte: Verfassungsgerichte als Foren und Akteure der Konfliktbearbeitung
Antragstellerin
Professorin Dr. Anuscheh Farahat
Fachliche Zuordnung
Öffentliches Recht
Förderung
Förderung von 2016 bis 2024
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 318864869
Politische und ökonomische Interdependenzen zwischen den Mitgliedstaaten der EU sowie rechtliche Vorgaben des Unionsrechts schränken die Autonomie nationaler Gesetzgeber in sozioökonomischen Verteilungsfragen zunehmend ein. Besonders prägnant zeigt sich dies seit dem Beginn der Euro-Krise im Jahr 2008. Aus dem Autonomieverlust folgen politische und rechtliche Konflikte über den Ausgleich disparater Kosten und Nutzen, die sich für die Mitgliedstaaten aus der gemeinsamen Währung und fortschreitenden Integration ergeben. Diese Konflikte können als transnationale Solidaritätskonflikte (TSK) rekonstruiert werden. Durch die konfliktheoretische Perspektive lässt sich die Rolle von Gerichten bei der Konfliktbearbeitung genauer bestimmen. Die Hypothese lautet: Die Kombination aus begrenzter gesetzgeberischer Handlungsmacht auf nationaler Ebene und vorwiegend exekutiven Entscheidungen über Verteilungsregime auf supranationaler und intergouvernementaler Ebene birgt die Gefahr des Verlusts politischer Inklusion jener Personengruppen, die von den Verteilungsentscheidungen negativ betroffen werden. Solidaritätskonflikte in der EU werden trotz ihres transnationalen Charakters vorwiegend vor nationalen Verfassungsgerichten verhandelt und entschieden. Daraus folgen die zentralen Forschungsfragen: Welche Rolle spielen nationale Verfassungsgerichte empirisch für die Sicherung politischer Inklusion in TSK? Wie lässt sich ihr Beitrag normativ bewerten?Untersuchungsgegenstand dieses Projekts sind Entscheidungen von fünf Verfassungs- bzw. Höchstgerichten, die Geber- und Nehmerstaaten der aktuellen TSK repräsentieren. Deren Entscheidungen werden auf drei Ebenen untersucht: (1) Empirisch lautet die Frage, warum nationale Verfassungsgerichte zu zentralen Foren für die Austragung von TSK werden. Die Hypothese besagt, dass Verfassungsgerichte angerufen werden, weil der Weg über nationale Parlamente wegen deren begrenzter Handlungsfähigkeit nicht zielführend ist. Nationale Verfassungsgerichte erscheinen politischen und sozialen Akteuren demgegenüber als geeignete Foren, um die symbolische Anerkennung eines TSK zu erreichen. (2) Auf der analytischen Ebene wird die Rolle nationaler Verfassungsgerichte in TSK vergleichend untersucht. Dabei geht es um zweierlei: Verwenden Verfassungsgerichte das Prozessrecht als Filter, um ihre eigene Beteiligung in TSK zu steuern, und wenn ja, wie? Mit welchen verfassungsrechtlichen Argumenten verhandeln die nationalen Verfassungsgerichte TSK und welches Verständnis von transnationaler Solidarität kommt darin zum Ausdruck? (3) Schließlich fragt das Projekt normativ danach, ob sich das Eingreifen von Verfassungsgerichten in TSK rechtfertigen lässt. Ziel ist es, auf die legitime Funktion von Verfassungsgerichten in TSK innerhalb einer demokratisch-gewaltengeteilten Ordnung näher zu bestimmen. Auf dieser Basis lassen sich dann die von den Verfassungsgerichten in TSK entwickelten Strategien und dogmatischen Figuren normativ bewerten.
DFG-Verfahren
Emmy Noether-Nachwuchsgruppen