Regieren mit "Ökosystemleistungen": Veränderungen von Problematisierungen und Rationalitäten des Regierens in der deutschen Naturschutz- und Landschaftspflegepolitik
Zusammenfassung der Projektergebnisse
‚Ecosystem services‘ und ‚Ökosystemleistungen‘ (ÖSL) haben sich zu Schlüsselwörtern der internationalen, europäischen und zunehmend auch der deutschen Debatten über Naturschutz und Landschaftspflege entwickelt. Sie sind von manchen als Indikatoren einer programmatischen Neuausrichtung der Biodiversitätspolitik unter ökonomischen Vorzeichen betrachtet werden. Bislang war jedoch kaum untersucht worden, wie sich das Regieren im Politikfeld ‚Naturschutz und Landschaftspflege‘ in Deutschland in Verbindung mit dem verstärkten Gebrauch des Worts ‚Ökosystemleistungen‘ verändert. So war unklar, ob es beispielsweise zu der im internationalen Raum häufig beschriebenen Ökonomisierung oder Neoliberalisierung von Natur und Landschaft kommen würde, das heißt zur Ausweitung der Anwendung ökonomischer, marktwirtschaftlicher Prinzipien, etwa indem Naturschutz unter Marketing-Gesichtspunkten betrachtet wird, oder ob Gegenkräfte überwiegen würden, die auf eine Bestärkung des eingespielten Verhältnisses von staatlicher Regulierung, zivilgesellschaftlichem Engagement und Marktkräften hinauslaufen. Ziel war es, ÖSL-Diskurse in Deutschland aus der Perspektive der Gouvernementalitätsforschung zu untersuchen. Es soll analysiert werden, wie Naturschutz und Landschaftspflege in Verbindung mit dem ökonomisch geprägten ÖSL-Konzept verhandelt werden. Im Mittelpunkt standen die in den entsprechenden Diskursen und Gegendiskursen produzierten Problematisierungen und Rationalitäten des Regierens im Politikfeld ‚Naturschutz und Landschaftspflege‘. Eine quantitative Analyse der Überschriften aller Beiträge, die in den letzten 35 Jahren in den beiden größten wissenschaftlichen Naturschutz-Zeitschriften in Deutschland erschienen sind, hat ergeben, dass vermeintlich ökonomisch geprägte Ansätze wie das ÖSL-Konzept zwar häufiger verwendet werden, allerdings weitgehend losgelöst von anderen ökonomischen Begriffen. Statt eines ökonomischen oder neoliberalen steht nach wie vor ein staatszentriertes, naturwissenschaftlich-bürokratisches Naturschutzverständnis im Vordergrund. Eine vertiefte Inhaltsanalyse zentraler Dokumente, die in Zusammenhang mit der politischen Initiative „Naturkapital Deutschland – TEEB DE“ erschienen sind, hatte zum Ergebnis, dass hier eindeutig neoliberale Problembeschreibungen geliefert werden. Mit Blick auf mögliche Ziele, Strategien und Handlungskonzepte tritt jedoch eine widersprüchliche Vielfalt von Rationalitäten zutage. In Zukunft sollten derartige science-policy interfaces im Bereich von Naturschutz und Landschaftspflege thematisch breiter angelegt werden, klarer zwischen wissenschaftlichen und politischen Aussagen trennen sowie transparenter mit internen Konflikten umgehen. Vor dem Hintergrund der immer dringlicher werdenden sozial-ökologischen Transformation sollten Naturschutz-Akteure – einschließlich des zivilgesellschaftlichen Bereichs – nicht mit Konzepten wie ‚Ökosystemdienstleistung‘ zweckrationale Nutzenkalküle reproduzieren und damit letztlich die Dominanz dieses Denkens bekräftigen. Naturschutz müsste sich vielmehr als widerständige Praxis verstehen, die auch emotional attraktive Alternativen zur (Über-)Nutzung der Natur entwirft und erlebbar macht. Mit einer Haltung der Achtung vor dem Anderen könnte er zum Treiber eine Transformation werden, die nicht nur unseren Umgang mit der Natur, sondern auch unseren Umgang miteinander grundlegend verändert.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2017), Ecosystem services and neoliberal governmentality – German style. Land Use Policy, 64, 307-316
Leibenath, M.
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(2018), The Ecosystem Services Concept and its relation to national biodiversity policies: The case of ‘Natural Capital Germany – TEEB DE’. In: Berger, L. (Hrsg.), Marine Ecosystem Services (= BfN-Skripten 521) (101-112). Bonn: BfN
Leibenath, M.
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(2018), Ökosystemleistungen und die Neoliberalisierung des Naturschutzes: Untersucht am Beispiel von ‚Naturkapital Deutschland – TEEB DE’. Naturschutz und Landschaftsplanung, 50, 2, 51-56
Leibenath, M.
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(2019), Jenseits von Konsensfiktion und Vereinnahmung. Zur Neubestimmung des Ortes umweltsoziologischer Kritik am Beispiel von „Naturkapital Deutschland – TEEB DE“. In: Burzan, N. (Hrsg.), Komplexe Dynamiken globaler und lokaler Entwicklungen. Verhandlungen des 39. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Göttingen 2018
Kurth, M.
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(2019), Zur Befragung der Umweltforschung an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik – Theorie und Methodik der postfundamentalistischen Diskursanalyse am Beispiel von „Naturkapital Deutschland – TEEB DE“. In: Sattlegger, L., Deppisch, L. & Rudolfi, M. (Hrsg.), Methoden umweltsoziologischer Forschung. Tagungsband der 15. Tagung der Nachwuchsgruppe Umweltsoziologie. ISOE-Materialien Soziale Ökologie (92-101). Frankfurt a. M.: ISOE
Kurth, M.
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(2020), Science–policy interfaces related to biodiversity and nature conservation: The case of Natural Capital Germany—TEEB-DE. Sustainability, 12, 9, 3701
Leibenath, M., Kurth, M. & Lintz, G.
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(2021), Naturschutz in Zeiten sozial-ökologischer Transformationen: Triebkraft oder Getriebener? GAIA, 30, 3, 144-149
Leibenath, M., Eser, U., Katz, C., Kurth, M., Ober, S., Poblocki, A. & Wessel, M. J. K.
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(2021), Naturschutz und (Grüne) Ökonomie: das Beispiel der Kontroverse um die geplante Tesla-Ansiedlung in Brandenburg. Natur und Landschaft, 96, 6, 293-299
Leibenath, M. & Kurth, M.
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(2021), Themenkonjunkturen, Naturschutzverständnisse und der Stellenwert ökonomischer Themen in wissenschaftlichen Veröffentlichungen mit Naturschutzbezug in Deutschland: Eine quantitative Zeitreihenanalyse von 1985 bis 2019. Natur und Landschaft, 96, 12, 579-589
Kurth, M. & Leibenath, M.
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(2022), Mehr Sichtbarkeit für die Leistungen der Natur durch ökonomische Zusatzargumente? Diskursanalytische Anmerkungen zur Studie Naturkapital Deutschland – TEEB DE. In: Bosančić, S. & Keller, R. (Hrsg.), Diskurse, Dispositive und Subjektivitäten. Anwendungsfelder und Anschlussmöglichkeiten in der wissenssoziologischen Diskursforschung. Wiesbaden: Springer VS
Kurth, M. & Leibenath, M.