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Regieren mit "Ökosystemleistungen": Veränderungen von Problematisierungen und Rationalitäten des Regierens in der deutschen Naturschutz- und Landschaftspflegepolitik

Fachliche Zuordnung Städtebau/Stadtentwicklung, Raumplanung, Verkehrs- und Infrastrukturplanung, Landschaftsplanung
Förderung Förderung von 2016 bis 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 320283583
 
Erstellungsjahr 2021

Zusammenfassung der Projektergebnisse

‚Ecosystem services‘ und ‚Ökosystemleistungen‘ (ÖSL) haben sich zu Schlüsselwörtern der internationalen, europäischen und zunehmend auch der deutschen Debatten über Naturschutz und Landschaftspflege entwickelt. Sie sind von manchen als Indikatoren einer programmatischen Neuausrichtung der Biodiversitätspolitik unter ökonomischen Vorzeichen betrachtet werden. Bislang war jedoch kaum untersucht worden, wie sich das Regieren im Politikfeld ‚Naturschutz und Landschaftspflege‘ in Deutschland in Verbindung mit dem verstärkten Gebrauch des Worts ‚Ökosystemleistungen‘ verändert. So war unklar, ob es beispielsweise zu der im internationalen Raum häufig beschriebenen Ökonomisierung oder Neoliberalisierung von Natur und Landschaft kommen würde, das heißt zur Ausweitung der Anwendung ökonomischer, marktwirtschaftlicher Prinzipien, etwa indem Naturschutz unter Marketing-Gesichtspunkten betrachtet wird, oder ob Gegenkräfte überwiegen würden, die auf eine Bestärkung des eingespielten Verhältnisses von staatlicher Regulierung, zivilgesellschaftlichem Engagement und Marktkräften hinauslaufen. Ziel war es, ÖSL-Diskurse in Deutschland aus der Perspektive der Gouvernementalitätsforschung zu untersuchen. Es soll analysiert werden, wie Naturschutz und Landschaftspflege in Verbindung mit dem ökonomisch geprägten ÖSL-Konzept verhandelt werden. Im Mittelpunkt standen die in den entsprechenden Diskursen und Gegendiskursen produzierten Problematisierungen und Rationalitäten des Regierens im Politikfeld ‚Naturschutz und Landschaftspflege‘. Eine quantitative Analyse der Überschriften aller Beiträge, die in den letzten 35 Jahren in den beiden größten wissenschaftlichen Naturschutz-Zeitschriften in Deutschland erschienen sind, hat ergeben, dass vermeintlich ökonomisch geprägte Ansätze wie das ÖSL-Konzept zwar häufiger verwendet werden, allerdings weitgehend losgelöst von anderen ökonomischen Begriffen. Statt eines ökonomischen oder neoliberalen steht nach wie vor ein staatszentriertes, naturwissenschaftlich-bürokratisches Naturschutzverständnis im Vordergrund. Eine vertiefte Inhaltsanalyse zentraler Dokumente, die in Zusammenhang mit der politischen Initiative „Naturkapital Deutschland – TEEB DE“ erschienen sind, hatte zum Ergebnis, dass hier eindeutig neoliberale Problembeschreibungen geliefert werden. Mit Blick auf mögliche Ziele, Strategien und Handlungskonzepte tritt jedoch eine widersprüchliche Vielfalt von Rationalitäten zutage. In Zukunft sollten derartige science-policy interfaces im Bereich von Naturschutz und Landschaftspflege thematisch breiter angelegt werden, klarer zwischen wissenschaftlichen und politischen Aussagen trennen sowie transparenter mit internen Konflikten umgehen. Vor dem Hintergrund der immer dringlicher werdenden sozial-ökologischen Transformation sollten Naturschutz-Akteure – einschließlich des zivilgesellschaftlichen Bereichs – nicht mit Konzepten wie ‚Ökosystemdienstleistung‘ zweckrationale Nutzenkalküle reproduzieren und damit letztlich die Dominanz dieses Denkens bekräftigen. Naturschutz müsste sich vielmehr als widerständige Praxis verstehen, die auch emotional attraktive Alternativen zur (Über-)Nutzung der Natur entwirft und erlebbar macht. Mit einer Haltung der Achtung vor dem Anderen könnte er zum Treiber eine Transformation werden, die nicht nur unseren Umgang mit der Natur, sondern auch unseren Umgang miteinander grundlegend verändert.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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