SFB 765: Multivalenz als chemisches Organisations- und Wirkprinzip: Neue Architekturen, Funktionen und Anwendungen
Biologie
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Physik
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Multivalenz ist ein Schlüsselprinzip in der Natur zum Aufbau starker, zugleich aber auch reversibler chemischer Wechselwirkungen zwischen zwei Einheiten, z.B. Rezeptoren und Liganden, Viren und Zellen oder zwischen zwei Zelloberflächen. Multivalente Bindungen basieren auf mehreren simultanen molekularen Erkennungsprozessen, die entweder durch einheitliche nichtkovalente Interaktionen (Homomultivalenz) oder durch mehrere verschiedene nichtkovalente Interaktionen (Heteromultivalenz) vermittelt werden. Multivalenz spielt beispielsweise in der Selbstorganisation von Materie, in der Katalyse, und auch bei biologischen Erkennungsprozessen sowie der Signaltransduktion in biologischen Systemen eine entscheidende Rolle. Die gleichzeitige Bindung mehrerer Liganden, die im richtigen Abstand mit korrekt dimensionierten Gerüstarchitekturen zu einem multivalenten Ligandensystem verknüpft sind, können signifikante Verstärkungen von Bindungskonstanten an einem entsprechenden multivalenten Rezeptor hervorrufen, so dass Gleichgewichte vollständig zugunsten der gebildeten Komplexe verschoben werden. Die gezielte Entwicklung neuer multivalenter Moleküle ist sowohl für wichtige biologische Fragestellungen, z. B. für die Hemmung von Entzündungen und die Prävention von viralen Infektionen, als auch für die gezielte Herstellung funktionaler Molekülarchitekturen und Oberflächenstrukturen oder etwa für die kontrollierte Steuerung von Nanopartikelinteraktionen, von großer Bedeutung. Die chemischen und biologischen Mechanismen und der Einfluss verschieden dimensionierter Gerüstarchitekturen, die diesen multivalenten Wechselwirkungen zugrunde liegen, waren das zentrale Thema des SFB 765. In den ersten beiden Förderperioden konnten richtungsweisende Erfolge erzielt werden. So gelang die experimentelle und theoretische Untersuchung bi- und trivalenter Bindungssysteme in der Gasphase, in Lösung und an Oberflächen. In einigen Fällen gelang es auch, quantitative Daten zwischen Theorie und Experiment exakt zu korrelieren. Die Forschungsarbeiten zeigten auch die Bedeutung von Größe, Form, Flexibilität und Dynamik der Gerüstarchitektur, insbesondere für die flächige Wechselwirkung mit biologischen Systemen. Veranschaulicht wird der Erfolg unter anderem durch die Entwicklung eines multivalenten Wirkstoffkandidaten mit starker entzündungshemmender Aktivität und von hochpotenten Pathogeninhibitoren. In der dritten Förderperiode des SFB 765 war neben einer Fokussierung auf organische „soft matter“ Gerüstarchitekturen eine weitere Verstärkung des SFB 765 in Bezug auf anwendungsorientierte Projekte geplant. Dabei wurden multivalente Pathogeninhibitoren untersucht, was in Bezug auf die aktuelle Virus-Pandemie sehr vorausschauend war und viele nützliche Hinweise für das Design neuartiger Virusinhibitoren gab. Das tiefergehende Verständnis multivalenter Wechselwirkungen auf allen Längenskalen vom Nano- bis in den Mikrometerbereich ist für die Beantwortung zentraler Fragestellungen und Neuentwicklungen im Bereich der Bio- und Materialwissenschaften von entscheidender Bedeutung. Zur Bewältigung dieser hochkomplexen und langfristigen Aufgabe ist das interdisziplinäre Zusammenwirken von Naturwissenschaftlern mit unterschiedlicher Expertise von der Biochemie bis hin zur Theorie notwendig. Die Freie Universität Berlin, die Humboldt-Universität zu Berlin, die Technische Universität Berlin, das Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie, die Charité-Universitätsmedizin Berlin, das MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung, das Zuse-Institut Berlin und in der dritten Förderperiode auch das Robert Koch-Institut haben in der Untersuchung funktionaler Molekülaggregate für Fragestellungen aus den Lebens- und Materialwissenschaften große Kompetenzen und starke wissenschaftliche Wechselwirkungen aufgebaut. In der dritten Förderperiode des SFB 765 wurde für die Vertiefung des facettenreichen und bedeutenden Themas „Multivalenz“ durch die Berufungen der letzten Jahre die Bereiche Pharmazeutischen Chemie und Theoretischen Chemie/Biophysik gezielt verstärkt. Der besondere Charme des SFB 765 ist das einmalige Zusammenspiel von synthetischer Expertise und physikalisch-chemisch sowie theoretisch ausgerichteten Projekten mit biologisch inspirierten Fragestellungen. Hieraus entwickelt sich eine neue Qualität des Verständnisses von Multivalenz und stellt dieses auf eine präzise theoretische Grundlage, um damit auch medizinische Fragestellungen, wie z.B. Entzündungen sowie bakterielle und virale Infektionen in Zukunft gezielter adressieren zu können. Durch diese präzisen Messungen und Modellierung ist es im SFB 765 gelungen auch ein quantitatives Verständnis der Multivalenz an biologischen Grenzflächen und insbesondere von Viren weiter auszubauen. Die passgenaue Wechselwirkung von DNA-, Polymer- und Phagen-basierten Gerüstarchitekturen hat hierbei die besten Bindungskonstanten ergeben, was auch für zukünftige Anwendungen von Multivalenz von großer Bedeutung ist. Mit diesen langfristigen und außerordentlich interessanten Forschungsperspektiven hat der SFB 765 seine Pionierfunktion in Deutschland wie auch international in der dritten Förderperiode weiter ausgebaut.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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L. K. S. von Krbek, A. J. Achazi, S. Schoder, M. Gaedke, T. Biberger, B. Paulus and C. A. Schalley
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H. V. Schröder, H. Hupatz, A. J. Achazi, S. Sobottka, B. Sarkar, B. Paulus and C. A. Schalley
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