Paul Schultze-Naumburg und die Ästhetik des Volkstums in Architektur und Gartenkultur
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Mit dem Forschungsprojekt konnten wesentliche Ergebnisse zu den Fragestellungen des DFG-Sachbeihilfeantrags erzielt werden. Die Untersuchungen zum theoretischen Profil der Ästhetik Schultze-Naumburgs ergaben, dass dessen Werk, anders als in der (Landschafts-)Architekturhistoriografie vielfach angenommen, nicht theorielos war, sondern eine feste programmatische Basis unter anderem in der zeitgenössischen Volkstums- und Rassenideologie hatte. Diese erwies sich über die Zäsuren des Jahrhunderts hinweg als strukturierendes Element seiner Formensprache, das auch die Auseinandersetzungen mit dem Historismus und der Moderne in der Bau- und Gartenkultur bestimmte. Überraschend war die Erkenntnis, dass Schultze-Naumburg nicht nur als Mitläufer, sondern durchgängig vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus als eine bewusst verdeckt agierende, treibende Kraft des Antisemitismus im gestalterischen Bereich betrachtet war. Der Rückgriff auf historiografische Nachbardisziplinen wie die Nationalismus-, Rassismus- und Antisemitismusforschung hat zu einer wesentlichen Erweiterung der Perspektive geführt. So konnte sein Vorgehen auf gestalterischem Gebiet mit dem kulturellen Antisemitismus und Rassismus in anderen Gesellschaftsbereichen kontextualisiert werden. Neue Erkenntnisse konnten auch zur Entstehung und Ausformulierung des nationalsozialistischen Planens und Bauens in der Weimarer Republik und während der NS-Zeit erlangt werden. Unsere Untersuchung der Arbeiten und des Netzwerks von Schultze-Naumburg lieferte neue Aufschlüsse über die nationalsozialistische Radikalisierung der Volkstumsideologie in den Auseinandersetzungen der Weimarer Republik. Auf Basis dieser Erkenntnisse ergeben sich über das Wirken Schultze-Naumburgs hinaus neue Forschungsperspektiven auf die nationalsozialistische Bau- und Gartenkultur, insbesondere auf deren weltanschauliche Zusammenhänge mit spezifischen Vorstellungen über Rasse und Landschaft. Konzeption und Zusammenhänge des bislang als eklektisch geltenden nationalsozialistischen Theoriegefüges bedürfen einer Revision, die den zeitgenössischen Gestaltungsdiskurs und dessen teilweise latente rassen- und volkstumsorientierte Implikationen verstärkt einbezieht. Auch zu Struktur und Bedeutung des sogenannten Landschaftlichen, das, der Blut-und-Boden-Ideologie nahe stehend, einen wesentlichen Bezugspunkt für den gesamten architektonischen und landschaftsarchitektonischen Bereich im Nationalsozialismus darstellt, wurden durch unsere Forschungsergebnisse neue Fragestellungen in das Blickfeld gerückt. Schultze-Naumburgs Rolle sowie die weiterer Akteure im kulturpolitischen Geschehen wurde im Jahr 2019/20 erstmals anhand einer Medienstation zu Paul Schultze-Naumburgs Netzwerken in der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin öffentlich vorgestellt. Die Medienstation sowie die aktualisierte Publikation hierzu enthalten darüber hinaus integrierte Darstellungen der einzelnen Zeitabschnitte Kaiserreich, Weimarer Republik und Nationalsozialismus, Texte zu ausgewählten Werken, Bauherren sowie zu den von Schultze-Naumburg verwendeten Antisemitismen und ermöglichen einen Einblick in sein gesamtes Wirken. Wie die Kooperationen mit anderen Institutionen zeigen, sind die Forschungen in hohem Maße anschlussfähig. Die Wahrnehmung Schultze-Naumburgs konnte bereits über die engeren Fachgrenzen hinaus beeinflusst werden. Sehr vielversprechend erscheint in dieser Hinsicht das beantragte Erkenntnistransferprojekt mit der Marzona Stiftung Neue Saalecker Werkstätten.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Architekturtheorie vom »germanischen Gesichtspunkte« aus. Paul Schultze-Naumburg und die ästhetische Codierung des volkstumsorientierten Bauens um 1900. In: Kulturreformer, Rassenideologe, Hochschullehrer: Der lange Schatten des Paul Schultze-Naumburg. Hrsg. v. Daniela Spiegel u. Hans-Rudolf Meier. Weimar 2018, S. 71-81
Schmitz, Rainer und Johanna Söhnigen
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Auf der »Via Triumphalis« nach Westen: Freiraumplanung für die Olympischen Spiele 1936. In: 100 Jahre Groß Berlin 2020. Die Grünfrage. Entwicklungsfaktoren der Großstadtregion. Hrsg. v. Harald Bodenschatz. Berlin 2019, S. 122-135
Schmitz, Rainer und Johanna Söhnigen
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Kritik und Manipulation. In: Protocol. Magazin für Architektur im Kontext, Berlin 2019, S. 32-35
Schmitz, Rainer und Johanna Söhnigen