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Vom Polygrafen zum Hirnscanner. Über die anhaltende Attraktivität und soziotechnische (Neu-)Konfiguration der Lügendetektion

Fachliche Zuordnung Soziologische Theorie
Empirische Sozialforschung
Förderung Förderung von 2016 bis 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 320725678
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt untersuchte erstmals die Entwicklung und Anwendung der Lügendetektion in Deutschland in ihren verschiedenen Kontexten sowie die damit verbundenen Erwartungen und Versprechungen. Ausgehend von einer umfassenden, historischen Rekonstruktion des Einsatzes der Polygrafie in Deutschland, insbesondere durch eine Vollerhebung der juristischen Diskussion zur Polygrafie, arbeiteten wir gegenwärtige Einsatzbereiche von Lügendetektionsverfahren heraus. Eingebettet in das Forschungsprogramm der Technografie fragte das Projekt danach, welche spezifischen Erwartungen in den einzelnen Verwendungskontexten mit der Nutzung von lügendetektorischen Verfahren verbunden wurden und welche Rolle dabei die technologisch-materiale Ausgestaltung der genutzten Instrumente spielt. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Analyse der Wechselwirkungen zwischen historisch gut etablierten polygrafischen Verfahren und neuen bildgebenden Verfahren der Lügendetektion gelegt, um die Frage zu untersuchen wie sich beide Technologien gegenseitig legitimieren oder diskreditieren. Drei zentrale Projektergebnisse, die so vor Beginn nicht zu erwarten waren, sind besonders hervorzuheben. Erstens zeigte das Projekt, dass Lügendetektion keine kohärente, einheitliche Praxis ist, sondern es sich hierbei vielmehr um einen Sammelbegriff handelt, unter dem ganz unterschiedliche Methoden, Arbeitsweisen, Annahmen und Wissensbestände subsumiert werden. Es ist deshalb, wie wir im Detail gezeigt haben, von zentraler Bedeutung, die jeweiligen Einsatzkontexte und damit verbundenen Praktiken genau zu rekonstruieren. Zweitens konnten wir zeigen, dass der vermehrte Einsatz eigentlich veralteter, analoger Polygrafen in deutschen Gerichten von den beteiligten Akteur*innen als Fortschritt verstanden wird. Dies ist besonders erklärungsbedürftig, da es heutzutage deutlich bessere digitale technische Geräte für polygrafische Gutachten gibt und der Einsatz analoger Geräte von außen betrachtet rückschrittlich erscheint. Hier konnten wir die Kontexte herausarbeiten, in denen vermeintlich veraltetes als Fortschritt erscheint. Mit Punkt zwei unmittelbar verbunden zeigten wir, drittens, dass neue Verfahren der neuro-basierten Lügendetektion klassische polygrafische Gutachten nicht einfach ablösen. Es ist eine Koexistenz von verschiedenen Formen der Lügendetektion zu beobachten, die sich nach Kontext, Zielvorstellungen, epistemologischen Annahmen und Praktiken differenziert. Das Projekt leistete damit einen entscheidenden Beitrag zur soziologischen Analyse und theoretischen Reflexion wissenschaftlich-(bio)technischer Verfahren, ihrer Attraktivität in verschiedenen Handlungsfeldern sowie der mit ihrem Einsatz verbundenen gesellschaftlichen Implikationen. Die Projektergebnisse wurden in einschlägigen, renommierten, nationalen und internationalen wissenschaftlichen Journalen veröffentlicht, um zur Literatur über Lügendetektion sowie allgemeiner den Einsatz sozio-technischer Verfahren in wichtigen gesellschaftlichen Handlungsfelder zu leisten.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • 2018. Wahrheit aus der Maschine, in: Stapferhaus (Hrsg.): Fake. Das Magazin. Lenzburg: Stapferhaus, 85-87
    Fischer, Larissa, Bettina Paul und Torsten H. Voigt
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-662-56316-8_6)
  • 2019: Wahrheit detektieren. Polygrafie zwischen Technikskepsis und Maschinenglauben im Kontext der Justiz, in: Mittelweg 36. 28(5), 84-109
    Paul, Bettina, Larissa Fischer und Torsten H. Voigt
  • 2019: Wahrheit unter dem Vergrößerungsglas. Vorstellungen von Subjekt und Technik in der Rechtsprechung zur Polygraphie, in: Zeitschrift für Soziologie, 48 (5-6): 418-434
    Fischer, Larissa, Bettina Paul und Torsten H. Voigt
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1515/zfsoz-2019-0029)
  • 2020: Anachronistic Progress? User Notions of Lie Detection in the Juridical Field, in: Engaging Science, Technology, and Society 6, 328-346
    Paul, Bettina, Larissa Fischer und Torsten H. Voigt
    (Siehe online unter https://doi.org/10.17351/ests2020.433)
  • 2020: The idea of reading someone’s thoughts in contemporary lie detection techniques, in: Laurens Schlicht, Carla Seemann und Christian Kassung (Hrsg.): Mind Reading as a Cultural Practice. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 74-96
    Fischer, Larissa
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-030-39419-6_6)
 
 

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