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Mobilität und die Produktion der kreativen Stadt: Neoliberale Neuordnung des Städtischen und ihre Einflüsse auf Mobilität, Raumproduktion und soziale (Un)Gerechtigkeit

Antragsteller Dr. Gregg Culver, Ph.D.
Fachliche Zuordnung Humangeographie
Förderung Förderung von 2016 bis 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 322408785
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Diese breit angelegte Forschungsarbeit zielt darauf ab, einige der Konfliktmöglichkeiten zwischen der sozialen und der ökologischen Dimension (oder, wie hier genannt, "conflicting sustainabilities") im Bereich der städtischen Mobilität zu skizzieren. Diese Forschungsarbeit ist in drei thematisch unterschiedliche, aber theoretisch eng miteinander verbundene Teilprojekte gegliedert. Teilprojekt I legt den Grundstein für diese Forschungsarbeit und ist eine empirisch gestützte Analyse der "Straßenbahn-Renaissance" - ein überraschendes Wiederaufleben der Straßenbahn als städtisches Nahverkehrsmittel US-amerikanischer Städte in den letzten Jahrzehnten. Die Forschungsergebnisse haben darauf hingedeutet, dass die Straßenbahn-Renaissance in den US-Städten weniger mit der Verbesserung der städtischen Mobilität an sich zu tun habe, sondern eher ein Vehikel für eine neoliberale, „creative-city“ Umgestaltung des Stadtkerns darstellt. Obwohl solche Projekte theoretisch negative soziale Auswirkungen haben können, erscheinen jedoch diese Auswirkungen auf die soziale Gerechtigkeit, aus der größeren Perspektive der städtischen Mobilität betrachtet, weniger dringlich als diejenigen, die bereits im Rahmen der "hegemonialen Automobilität", produziert werden. Diese Schlussfolgerung schafft somit die Voraussetzungen für eine Untersuchung der sozialen Antagonismen der Automobilität im Teilprojekt II. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Straßenbahn-Renaissance bloß die dritte Welle der Neuerfindung des städtischen Schienennahverkehrs in US-Städten seit dem Zweiten Weltkrieg ist, und ähnlich wie die beiden vorangegangenen Wellen geht diese Renaissance nach etwa drei Jahrzehnten zu Ende. Diese Schlussfolgerung wiederum bereitet den Boden für eine tiefgreifendere Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen dem städtischen Schienennahverkehr und der Automobilität in Teilprojekt III. Teilprojekt II skizziert die sozialen Antagonismen der Automobilität. Im Laufe dieser Forschung stellte sich fest, dass einer der wichtigsten sozialen Antagonismen der heutigen Mobilität die dem Automobilsystem innewohnende physische Gewalt ist – ein Thema, das in der wissenschaftlichen Debatte bisher kaum Beachtung gefunden hat. Es wird einen theoretischen Rahmen entworfen, um das Thema der Gewalt und Gerechtigkeit im Straßenverkehr zu vertiefen und dabei argumentiert, dass diese Gewalt in sozial ungerechter Weise verteilt ist und dass eine solche Gewalt mit der umfassenderen Vorstellung einer gerechten, nachhaltigen und lebenswerten Stadt unvereinbar ist. Diese Forschungsergebnise wurden u.a. am 8. März 2018 im Online-Magazine "Bloomberg CityLab" zusammen mit einem Interview des Forschers vorgestellt. Teilprojekt III geht der Frage nach, warum der städtische Schienennahverkehr weiter verfolgt wird, wenn er mit dem Aufstieg der hegemonialen Automobilität in den Nachkriegsjahrzehnten ideologisch aufgegeben wurde. Es wird argumentiert, dass, wenn man eine breitere historische und geographische Perspektive einnimmt, die aufeinanderfolgenden Wellen von Investitionen in den Schienennahverkehr in den USA (und im Westen im Allgemeinen) in gewisser Weise als Bestandteile der Automobilität verstanden werden können. Das heißt, sie fungieren als "Druckventile", die selektiv installiert werden, um zu verhindern, dass die Automobilität selbst unter dem Druck der systemischen, unlösbaren Verkehrsstaus zusammenbricht. Aus der Perspektive der historischen Entwicklung der gesellschaftlichen Beschleunigung seit Anbeginn der Moderne scheint es zudem, dass sowohl der öffentliche Schienennahverkehr als auch die Automobilität (letztlich vorübergehende) Motoren sind, welche die größere Beschleunigungsmaschinerie antreiben. Im Hinblick auf aktuelle Trends können einige der Lektionen angewandt, die aus den Erkenntnissen dieser drei Teilprojekte entnommen werden können: 1) dass Mobilität ein Vehikel für eine Umgestaltung der Stadt entsprechend den Bedürfnissen der kreativen Klasse sein kann; 2) dass einige eklatante soziale Probleme in der humangeographischen Forschung tatsächlich übersehen werden können; und 3) die Idee, dass Mobilitätsformen oft komplizierteren, versteckten Funktionen dienen können. Auf dieser Grundlage kann argumentiert werden, dass ein neues Mobilitätssystem welches die "urbane Hypermobilität" bezeichnet wird, am Entstehen ist, welches die städtische Automobilität allmählich ersetzt.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2017). Light Rail Renaissance: Die Neuerfindung der Straßenbahn im Nordosten der USA. Geographische Rundschau, Nov, Heft 11: 24-29
    Culver, G.
  • (2017). Mobility and the Making of the Neoliberal “Creative City”: The Streetcar as a Creative City Project? Journal of Transport Geography, 58: 22-30
    Culver, G.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.jtrangeo.2016.11.005)
  • (2018). Death and the Car: On (Auto)Mobility, Violence, and Injustice. Acme: An International Journal for Critical Geographies, 17(1): 144-70
    Culver, G.
  • (2020). Bike helmets – a dangerous fixation: an analysis of the cycling safety discourse in the United States. Applied Mobilities, 5(2): 138-154
    Culver, G.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1080/23800127.2018.1432088)
  • Druckventil Schnellbahnbau – Öffentlicher Nahverkehr im Zeitalter automobiler Beschleunigung. In J. Scheiner, M. Wilde & A. Appel (Eds.), “Mobilität, Erreichbarkeit, Raum – (selbst-)kritische Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis.” Studien zur Mobilitäts- und Verkehrsforschung, Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften
    Culver, G. and Hebsaker, J.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-31413-2_4)
 
 

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