Bauprozesse und Wirtschaftsdynamiken im kaiserzeitlichen Milet. Wirtschaftshistorische und archäometrische Studie zu den Baumaterialien der Mäanderebene
Paläontologie
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Milet beweist ein nahezu autarkisches Verhalten zur Versorgung mit marmornem Baumaterial in der Kaiserzeit, das eher den Verhältnissen im kleinasiatischen Hinterland (Aphrodisias) ähnelt und weniger denen in den benachbarten Hafenmetropolen (Ephesos, Smyrna). Zwar lassen sich Marmorimporte verzeichnen, diese betreffen vornehmlich Buntgesteine, deren Einsatz in der milesischen Architektur jedoch auf wenige Bauten öffentlichen Charakters (Theater, Heroon III, Faustinathermen) beschränkt ist. Der Import von weiß-grauen Marmoren für Bauzwecke hat ein bescheidenes Ausmaß (Didymeion, Stadion-Osttor). Das Projekt hat eine umfangreiche einheitliche archäometrische Dokumentation des milesischen marmornen Baumaterials geschaffen, die in Umfang (440 Datensets) und Genauigkeit (Isotopenwerte, Spurenelemente, mineralogisch-petrographische Analyse) mit ähnlichen interdisziplinären Projekten (z. B. Ephesos) vergleichbar ist. Die Provenienzstudie hat gezeigt, dass das marmorne Baumaterial überwiegend lokaler Herkunft ist, und auch wenn die noch laufenden Detailuntersuchungen evtl. zu einer schärferen Unterscheidung zwischen den einzelnen Abbauarealen der Mäanderebene führen sollten, hat das Thema „Marmor in Milet" sein wissenschaftliches Potenzial im Wesentlichen erschöpft. Größe Überraschungen bot die kritische Auseinandersetzung mit den schriftlichen Quellen, die mit dem Mythos des hochwertigen, überregional gehandelten latmischen Marmors, der traditionell mit Herakleia am Latmos assoziiert wird, aufräumen konnten. Der genannte Marmor besitzt eine wesentlich jüngere, wohl hellenistische Abbautradition, durchschnittliche Qualität und eine kaum mehr als lokale Bedeutung in der Antike. Das Verhältnis Milets zu den latmischen Brüchen, die in der Kaiserzeit schwerlich von Herakleia am Latmos betrieben werden konnten, kann beim jetzigen Forschungsstand nicht präzisiert werden. Archäometrische Studien deuten auf die Nutzung dieses Materials für einzelne Bauten (Markttor, Nymphäum, 2. Bühne des Theaters), allerdings ist die ermittelte archäometrische Datenlage äußerst komplex und selten schlüssig. Archäometrische Auswertungen hinsichtlich der Marmorherkunft decken sich nicht immer (oder nicht ganz) mit historischen Überlieferungen oder epigraphisch belegten Fakten. Die urbane Entwicklung der Stadt Milet lässt zwei große Phasen erkennen: eine rege Bautätigkeit im 1. Jh. n. Chr., eine Zeit, in der die den sog. Nordmarkt umgebenden Bauten errichtet wurden und eine späte Blüte in severischer Zeit und v.a. im 3. Jh. n. Chr. (Serapeion, Faustinathermen, Stadion-Osttor, 2. Bühne des Theaters). Das 2. Jh. ist auch mit Projekten vertreten (Propylon des NO-Bezirks); diese betreffen jedoch vornämlich das Didymeion und die Prozessionsstraße. Die Bauornamentik entspricht in ihrem Formenrepertoire dem kleinasiatischen marble style und weist kaum lokale Besonderheiten auf, wie die Marmorprovenienz vermuten lässt. Die Aneignung dieser Formsprache lässt sich nur durch die Mobilität der milesischen Steinmetze erklären, die auf Baustellen kaiserlicher Projekte arbeiteten oder eigene, regional aktive Bauunternehmen betrieben. Hier möchte eine Folgestudie ansetzen und die Ergebnisse dieser bauökonomischen Untersuchung mit der vorläufigen Auswertung der Bauornamentik verbinden, um den Wissensund Technologietransfer in den Bauprozessen und bei der Herstellung der Bauornamentik zu erforschen und als Monographie zu veröffentlichen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Standardization and mass customization of architectural components: new perspectives on the Imperial marble construction industry. Journal of Roman Archaeology, 31(2018), 161-191.
Toma, Natalia
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Marmor – Maße – Monumente. Vorfertigung, Standardisierung und Massenproduktion marmorner Bauteile in der römischen Kaiserzeit (Wiesbaden 2020)
Natalia Toma-Kansteiner
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Milet, Türkei: Marmorprovenienz und bauwirtschaftliche Paradoxe (nach Vorarbeiten 2018, 2019), DAI e-Forschungsberichte 1/2020, 1–7
Natalia Toma-Kansteiner
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Arhitectură. Restaurare. Arheologie. In honorem Monica Mărgineanu-Cârstoiu (Bukarest 2021)
V. Apostol; S. Bâlici; L. Nistor; N. Toma (Hrsg.)
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Geglättet oder gesägt? Werkzeugspuren und die Rekonstruktion antiker Bauprozesse, in: V. Apostol – S. Bâlici – L. Nistor – N. Toma (Hg.) Arhitectură. Restaurare. Arheologie. In honorem Monica Mărgineanu-Cârstoiu (Bukarest 2021) 41–54
Natalia Toma-Kansteiner
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Das Stadion-Osttor in Milet. Unfertigkeit und Effizienzstrategien im kaiserzeitlichen Marmorbau, in: N. Toma – F. Rumscheid (Hrsg.), Unfertigkeit in antiker Architektur. Definitionen und Ursachen, Beiträge einer Sektion des 19. internationalen Kongresses für Klassische Archäologie in Köln und Bonn am 23. Mai 2018, Beih. BJb 61 (Darmstadt 2022), 101–131
Natalia Toma-Kansteiner
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Tradition und Rezeption. Zur Entwicklung des ionischen Kapitells im kaiserzeitlichen Hierapolis (Phrygien) - S. Bozza 2020. Architettura ionica a Hierapolis di Frigia. Hierapolis di Frigia 14. Istanbul: Ege Yayınları. Pp. XXIII + 389, Illustrationen, Pläne. ISBN 978-605-7673-37-4. Journal of Roman Archaeology, 35(1), 552-559.
Toma, Natalia
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Unfertigkeit in antiker Architektur. Definitionen und Ursachen, Beiträge einer Sektion des 19. internationalen Kongresses für Klassische Archäologie in Köln und Bonn am 23. Mai 2018, Beih. BJb 61 (Darmstadt 2022)
N. Toma; F. Rumscheid (Hrsg.)
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On Toolmarks, Sequence of Carving, and Labour Quantification in Roman Stone Carving:. From Concept to Monument: Time and Costs of Construction in the Ancient World (2023, 7, 13), 286-296. American Geophysical Union (AGU).
Toma, Natalia
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Türkei: Marmor in Milet der Kaiserzeit. Bericht über die archäometrische Studie. DAI e-Forschungsberichte 1/2023, 1–9
Natalia Toma-Kansteiner
