Theoretische und empirische Modellierung von Identität und Sentiment in kollaborativen Gruppen
Empirische Sozialforschung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
THEMIS.COG war eine interdisziplinäres Forschungsprojekt von Informatiker:innen und Sozialwissenschaftler:innen der University of Waterloo (Kanada), der Fachhochschule Potsdam (Deutschland) und des Dartmouth College (USA). Das von der „Digging Into Data“- Initiative der Transatlantischen Partnerschaft verschiedener nationaler Forschungsfördereinrichtungen finanzierte Projekt zielte auf die theoretische und empirische Modellierung von Identität und Emotionen in der Zusammenarbeit von Gruppen ab. Die sozialen Bedingungen von selbstorganisierter Zusammenarbeit zu verstehen, ist wichtig, da technologische und soziale Innovationen zunehmend in informeller und verteilter Kooperation entstehen statt innerhalb formaler Organisationshierarchien oder in Markttransaktionen. Im Projekt wurde ein auf digitalen Massendaten basierender Ansatz verwendet, um die sozialpsychologischen Mechanismen zu erforschen, die solche Formen der Zusammenarbeit motivieren und ihren Erfolg oder Misserfolg beeinflussen. Wir untersuchten dafür beispielhaft GitHub, die derzeit weltweit größte digitale Plattform für offene, kollaborative Softwareentwicklung. Im Gegensatz zu den überwiegend induktiven Data-Science-Ansätzen in den zeitgenössischen digitalen Sozialwissenschaften verfolgte THEMIS.COG einen deduktiven, theoriegeleiteten Ansatz. Das Projekt basierte auf der Affektsteuerungstheorie – eine mathematisch formalisierte Theorie der symbolischen Interaktion, die von dem Soziologen David R. Heise begründet und in eigenen Vorarbeiten der THEMIS.COG-Projektleiter:innen weiterentwickelt worden war. Die Affektsteuerungstheorie besagt, dass Menschen ihr soziales Verhalten steuern, indem sie intuitiv versuchen, kulturell geteilte Gefühle zu bestätigen, die mit Identitäten, sozialen Rollen und Handlungen verbunden sind. Aus diesem Prinzip, das in Form von Simulationsmodellen mathematisch formalisiert ist, lassen sich präzise Vorhersagen über gruppendynamische Prozesse ableiten. Ziel von THEMIS.COG war es, solche Modelle anzupassen, weiterzuentwickeln und anzuwenden, um das GitHub-Ökosystem aus der theoretischen Perspektive des symbolischen Interaktionismus zu untersuchen. In vieler Hinsicht war das Projekt eine größere Herausforderung als zunächst erwartet. Insbesondere ermöglichte uns der Stand der Technik bei der automatisierten Verarbeitung natürlicher Sprache und der Sentimentanalyse nicht, die GitHub-Daten so präzise oder gar automatisch wie ursprünglich angestrebt mit den Simulationsmodellen der Affektsteuerungstheorie zu verkoppeln. Dennoch waren wir in der Lage, verschiedene neue theoretische und empirische Ansätze für die Untersuchung von Gruppendynamik bei der selbstorganisierten Zusammenarbeit zu entwickeln. Dazu gehörten die automatisierte Klassifizierung von sozio-emotionalem versus aufgabenorientiertem Gruppenverhalten und andere Techniken, emotionale Informationen aus digital archivierten Gruppendiskussionen zu extrahieren; ein Nachweis von Korrelationen zwischen der Persönlichkeit/Identität von Softwareentwickler:innen und der Wahrscheinlichkeit, dass deren Code-Vorschläge akzeptiert werden; die Entwicklung einer Typologie von Interaktionsmustern in GitHub-Arbeitsgruppen; sowie verschiedene Ansätze zur Simulation von Gruppendynamik in Softwareentwicklungsteams auf Grundlage der Affektsteuerungstheorie. THEMIS.COG leistete damit substanzielle Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Theorieentwicklung basierend auf Massendaten aus digitalen Medien. Schlüsselbegriffe: Computational Social Science, Gruppendynamik, Softwareentwicklung, Virtuelle Teamarbeit, GitHub, Identität, Affektsteuerungstheorie, Sentimentanalyse, Soziale Simulation
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2018). Affective dynamics and control in group processes. Group Interaction Frontiers in Technology (GIFT’18), Boulder, CO, USA. ACM, New York, NY, USA
Hoey, J., Schröder, T., Morgan, J. H., Rogers, K. B., & Nagappan, M.
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(2018). Artificial intelligence and social simulation: Studying group dynamics on a massive scale. Small Group Research, 49(6), 647-683
Hoey, J., Schröder, T., Morgan, J. H., Rogers, K. B., Rishi, D., & Nagappan, M.
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(2019). Effects of personality traits on pull request acceptance. IEEE Transactions on Software Engineering
Iyer, R. N., Yun, S. A., Nagappan, M., & Hoey, J.
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(2019). Relating values and social network structure. International Conference on Computational Social Science, Amsterdam
Paryab, N., Sachs, A., Li, A., Nagappan, M., & Hoey, J.
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(2020), A topology of groups: What GitHub can tell us about online collaboration. Technological Forecasting and Social Change, 161, 12029
Zöller, N., Morgan, J. H. & Schröder, T.
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(2020). When do word embeddings accurately reflect surveys on our beliefs about people? The 58th Annual Meeting of the Association for Computational Linguistics
Kenneth, J., & Morgan, J. H.
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(2021). Denotative and connotative control of uncertainty: A Bayesian dual-process model. Judgment and Decision Making, 16(2), 505-550
Hoey, J., MacKinnon, N. J., & Schröder. T.
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(2021). Modeling interaction in collaborative groups: Affect control within social structure. Journal of Artificial Societies and Social Simulation
Zöller, N., Morgan, J. H. & Schröder, T.
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(2021). Modeling the culture of online collaborative groups with affect control theory. In P. Ahrweiler & M. Neumann (Eds.), Advances in Social Simulation (pp. 147-169). Springer Proceedings in Complexity
Morgan, J. H., Zhao, J., Zöller, N., Sedlacek, A., Chen, L., Piper, H., Beck, Y., Rogers, K. B., Hoey, J., & Schröder, T.
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(2022). Modeling impression formation processes among Chinese and Americans. American Behavioral Scientist
Zhao, J.