Die Agency geistlicher Frauen im deutschsprachigen Südwesten 1350-1550
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Insgesamt bietet die Studie einen tiefen Einblick in die Handlungsmöglichkeiten, Handlungsstrategien und Motive geistlicher Frauen am Beginn des 15. Jahrhunderts (1411–13). Dabei wird – deutlicher als es für diese Zeit bisher aufgrund der Quellenlage möglich war – zunächst der Konvent eines Frauenklosters in seiner inneren Zusammensetzung, sozialen Verortung in der städtischen Gesellschaft und inneren Differenzierung bis hin zur Bildung von Freundschafts- und Klientelverbänden sowie gewisser gruppendynamischer Prozesse zwischen ihnen erkennbar. Darüber hinaus erlaubt die Quellenlage aber auch in einer so nur selten möglichen Tiefe den Blick auf die Agency einzelner Frauen und zwar nicht nur der Funktionsträgerinnen (Äbtissin), sondern weiterer Einzelpersönlichkeiten in der Gemeinschaft. Es wird deutlich, dass diese vor allem über die Netzwerke ihrer Herkunftsfamilien Handlungsmacht erlangen, Netzwerke, die sie aktiv und bewusst für sich einsetzen, wenn sie mit der direkten Kommunikation innerhalb der Ordenshierarchie und gegenüber ihren geistlichen Betreuern nicht weiterkommen bzw. bewusst blockiert werden. Auch die Handlungsmotive der Frauen werden sichtbar, wobei die Wiederherstellung bzw. der Schutz der individuellen Ehre sowie der Ehre der mit ihnen verbundenen Gemeinschaften (Konvent, Orden, Familie) als vorrangig identifiziert werden kann. Emotionen wie Angst, Neid und Hass werden von den Protagonistinnen ebenfalls ausdrücklich und wiederholt als Handlungsmotive genannt, genauso wie der Wunsch, die bedrohte Ordnung ihrer Gemeinschaft zu schützen bzw. ein Reordering zu erreichen. Die Frauen handeln über ihre Netzwerke, sie bedienen sich dabei aber auch bewusster Kommunikationsstrategien, die verschiedene Ebenen von Öffentlichkeit unterscheiden und in einer feinen Abstufung allmählich und nacheinander herstellen. Schließlich lassen sich über den sprachlichen Umgang der Frauen mit dem Thema Sexualität Erkenntnisse über deren Vorstellungen von und Einstellungen zu ihren Köpern und denen ihrer Mitschwestern gewinnen. Die Studie fügt sich damit ein in einen handlungsorientierten, gendergeschichtlichen Ansatz, der neben den sozialen Kontexten auch die Agency von Individuen und Gruppen sowie die subjektive Sinnhaftigkeit ihrer Handlungen untersucht.