Unlawful use of force by police: processes of victimization, willingness to report, and composition of the dark figure
Final Report Abstract
Das DFG-Forschungsprojekt „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“ (KviAPol) liefert erstmals umfassende wissenschaftliche Befunde zu übermäßigen Gewaltanwendungen durch Polizist*innen in Deutschland und zur strafrechtlichen Aufarbeitung solcher Geschehen. Basis hierfür sind eine Betroffenenbefragung mit mehr als 3.300 Teilnehmenden sowie über 60 qualitative Interviews mit Polizist*innen, Richter*innen, Staatsanwält*innen, Opferberatungsstellen und Rechtsanwält*innen. Polizeiliche Einsatzsituationen sind komplexe soziale Interaktionsgeschehen. Für eine Anwendung übermäßiger Gewalt können sowohl individuelle wie auch situative und organisationale Faktoren eine Rolle spielen. Auf polizeilicher Seite können aus Sicht der Befragten und der Interviewpartner*innen vor allem mangelhafte Kommunikation, Stress, Überforderung, diskriminierendes Verhalten und inadäquate Einsatzplanungen eine Eskalationswirkung haben. Auf Seiten der Betroffenen scheinen Fragen zur Rechtmäßigkeit der jeweiligen Maßnahme, Diskussionen, Beleidigungen und Respektlosigkeiten sowie Weigerungshaltungen übermäßige polizeiliche Gewalt zu begünstigen. Insbesondere die polizeiliche Sorge vor einem Kontrollverlust in der jeweiligen Situation kann das Eskalationsgeschehen beeinflussen. Polizeiliche Gewaltanwendungen werden von Beteiligten und Beobachtenden situativ, aber auch im Nachhinein anhand verschiedener normativer Maßstäbe bewertet. Das Recht stellt dabei nur einen Bewertungsmaßstab neben anderen dar. In den Interviews mit Polizeibeamt*innen zeigte sich zum Beispiel, dass für die Polizei neben Fragen der Rechtmäßigkeit einer Gewaltanwendung auch Aspekte der Legitimität und Praktikabilität der Gewalt eine Rolle spielen. Pragmatische Erwägungen der Effizienz und Effektivität können dabei rechtliche Vorgaben überlagern. Sowohl bei Polizeibeamt*innen wie auch bei Betroffenen lassen sich anhand unserer Daten spezifische Umgangsweisen mit polizeilichen Gewaltanwendungen feststellen, die als übermäßig problematisiert werden. Auf polizeilicher Seite spielt neben Einsatznachbereitungen und informellen Besprechungen vor allem das polizeiliche Berichtswesen eine wesentliche Rolle. Zugleich zeigten sich für Polizeibeamt*innen hohe Hürden, Gewaltanwendungen durch Kolleg*innen zu kritisieren oder gar zur Anzeige zu bringen. Auch bei den befragten Betroffenen war eine niedrige Anzeigebereitschaft (9 %) festzustellen. Gegen eine Anzeigeerstattung sprach aus ihrer Sicht vor allem das Wissen um mangelnde Erfolgsaussichten im Strafverfahren, Schwierigkeiten bei der Identifizierbarkeit der Polizeibeamt*innen, Sorge vor Repressionen und fehlende Beweismittel. In der Praxis führt dies dazu, dass ein Großteil der Verdachtsfälle rechtswidriger polizeilicher Gewaltanwendung im Dunkelfeld verbleibt. So gaben nur 14 % der von uns befragten Betroffenen an, dass in ihrem Fall ein Strafverfahren stattgefunden habe. Für die Strafverfahren zu Verdachtsfällen rechtswidriger polizeilicher Gewalt zeigen sowohl die offiziellen Statistiken als auch die Erhebungsdaten eine besondere Erledigungspraxis der Staatsanwaltschaften: Während über 90 % der Verfahren eingestellt werden, wird nur äußerst selten Anklage erhoben (laut Staatsanwaltschaftsstatistik in 2 % der Fälle). Die Befunde des Projekts lassen erkennen, dass diese ungewöhnlich niedrige Anklagequote nicht nur auf unberechtigte Anzeigen zurückgeführt werden kann, sondern auch durch strukturelle Besonderheiten dieser Verfahren bedingt ist. Danach gibt es oft eine schwierige Beweislage, Herausforderungen für Polizeibeamt*innen als Zeug*innen bei der Belastung von Kolleg*innen und nur eine bedingte Gewährleistung der Neutralität polizeilicher Ermittlungen. Für die zuständigen Staatsanwält*innen erweist sich angesichts der alltäglichen engen Zusammenarbeit mit der Polizei eine unvoreingenommene Herangehensweise an solche Verfahren als besondere Herausforderung. Dabei erschwert es auch die hohe Arbeitsbelastung, Vorannahmen über polizeiliche Angeklagte oder Zeug*innen zu hinterfragen, die häufig als besonders glaubwürdig und zuverlässig angesehen werden. Umgekehrt kann diese Konstellation zugleich zu Vorannahmen über die Betroffenen polizeilicher Gewalt führen, deren Glaubwürdigkeit infolgedessen geringer erscheint.
Publications
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Die empirische Untersuchung von übermäßiger Polizeigewalt in Deutschland. Methodik, Umsetzung und Herausforderungen des Forschungsprojekts KviAPol, in: Kriminologie – das Online Journal 2/2019, S. 231-249.
Abdul-Rahman, Laila; Espín Grau, Hannah & Singelnstein, Tobias
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Mener une enquête empirique sur la force policière excessive en Allemagne. Déviance et Société, Vol. 45(3), 481-511.
Abdul-Rahman, Laila; Espín, Grau Hannah; Singelnstein, Tobias & Meunier, Valentine
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Rechtswidrige polizeiliche Gewaltanwendung: Interaktionen, Risikofaktoren und Auslöser. Handbuch polizeiliches Einsatztraining, 483-502. Springer Fachmedien Wiesbaden.
Abdul-Rahman, Laila & Singelnstein, Tobias
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Gewalt im Amt. Campus Verlag.
Abdul-Rahman, Laila; Espin, Grau Hannah; Klaus, Luise & Singelnstein, Tobias
