Selbstzeugnisse und self-fashioning in der kolonialspanischen Gesellschaft in der Frühen Neuzeit
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das spanische Imperium wird als Großraum der frühen Globalisierung mit einem hohen Maß an nicht nur transkontinentaler, sondern auch transkultureller Interaktion begriffen. Für in der Frühen Neuzeit konnten Individualisierungsprozesse durch soziale Mobilität, konfessionelle Konfliktlagen und vor allem durch Auseinandersetzung mit dem administrativen Apparate und der von ihnen ausgehenden Disziplinierungsversuche nachgewiesen werden. Anders als erwartet, waren die mit Vorsicht zu genießenden Inquisitionsquellen am gehaltsvollsten. Detaillierte biographische Informationen konnten aus den Prozessakten gewonnen werden, um Einzelschicksale und Selbstkonstriktionen zu beschreiben und dabei verschiedene Bevölkerungsgruppen zu charakterisieren. Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich die Akteure innerhalb von Netzwerken bewegten, die sich nach familiärer, regionaler, beruflicher und/oder religiöser Herkunft definieren lassen. Die Konstruktion von Identität konnte aber zweckgebunden variieren. Den Zielen und Motivationen entsprechend konnte dieselbe Person sich auf unterschiedliche Weise darstellen, sei es als devoter Gläubiger, treuer Soldat, heimaltliebender Kastilier oder vornehmer Adliger. Trotzdem gibt es innerhalb jeder Gruppe Stereotypen, die für die Mehrzahl zutreffen, da eine Art kollektive Uniformität durch den Zweck des Schreibens vorgegeben wurde. So repräsentieren Soldaten und Kleriker fast immer die Ideologie und die Werte von Staat und Kirche, während Konvertiten, Sklaven oder Indigene eigenen "vor-spanischen" Traditionen verbunden geblieben sind. Das Individuum war zwar den staatlichen Institutionen untergeordnet und wandte sich an sie, um seine eigenen Interessen wahrzunehmen. Doch wie die Einzelperson vom staatlichen System geformt wird, so modifiziert auch das Individuum seine Umgebung. Wir haben es bei den analysierten Selbstzeugnissen mit kontextuellen Biographien zu tun, in denen sich transkulturelle Prozesse innerhalb des spanischen Imperiums im 17. Jahrhundert widerspiegeln. Die Protagonisten, die im Buch zu Worte kommen, sind Zeitgenossen, deren Leben sich überschneiden und gegenseitig beeinflussen. Ihre Äußerungen erlauben mikroskopische Einblicke in ihre Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt – wie etwa im Falle der versatzstückartig geschriebenen relaciones, die in Sequenzen von besonderen Ereignissen und Konstellationen berichten und dabei das individuelle Leben als verkleinertes Modell einer größeren Geschichte erscheinen lassen. Diese Quellen beschreiben das kontinuierliche Überschreiten von Grenzen in einem global vernetzten Imperium, in denen Menschen, Waren und Ideen unterwegs sind. Wenn auch fragmentarisch, ermöglichen die Egodokumente eine Annäherung an einen konkreten Akteur innerhalb seiner spezifischen Umgebung und repräsentieren das Individuum in seiner historischen Situation. Sobald das Buch veröffentlicht ist, werde ich die Primärquellen zur Nachhaltigkeit in der Online-Datenbank des Onderzoeksinstituut Egodocument der Universität Rotterdam unter: httpwww.egodocument.net/ einstellen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- "Distributive Struggle and the Self in the Early Modern Iberian World" (Stuttgart: Akademischer Verlag 2019)
Nikolaus Böttcher, Stefan Rinke und Nino Vallen
(Siehe online unter https://dx.doi.org/10.17169/refubium-34144)