Intervention - Re(d)aktion - Prävention? Zur Wirkung von Leitlinien zur verantwortungsvollen Suizidberichterstattung auf die Suizidberichterstattung deutscher Tageszeitungen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Suizide sind mit über 703.000 Toten jährlich – davon allein in Deutschland über 9.200 – und vielfach mehr indirekt Betroffenen ein globales Problem, was Suizidprävention zu einem gesamtgesellschaftlichen Anliegen macht. Neben zahlreichen internen und externen Faktoren, für individuelle Suizidalität, kommt auch den Medien maßgeblich Bedeutung bei: So herrscht in der Forschung weitgehend Einigkeit, dass eine sensationalistische Darstellung von Suizid in den Medien Imitationssuizide in der vulnerablen Bevölkerung nach sich ziehen kann. Dieses Phänomen hat sich als Werther-Effekt in Forschung und Praxis etabliert. Neuere Erkenntnisse zeigen, dass die mediale Suiziddarstellung jedoch auch positive, im Sinne von potenziell suizidpräventiver Wirkung haben kann, wenn das Thema entsprechend sensibel aufbereitet ist. In der Literatur ist diese Medienwirkung als Papageno-Effekt bekannt. Neben einschlägigen Prädispositionen der Rezipient:innen ist medienseitig die Aufbereitung entscheidend für das Eintreten des einen wie des anderen Effekts, entsprechende Richtlinien zur verantwortungsvollen Suizidberichterstattung wurden entwickelt. Dabei wird auch die herausgestellte Rolle von Journalist:innen deutlich, denn sie sind diejenigen, die die Darstellung von Suizid in den Medien – zumindest innerhalb der (tages)aktuellen Berichterstattung – entscheidend gestalten. Journalist:innen für einen möglichst sensiblen und verantwortungsvollen beruflichen Umgang mit dem Thema Suizid zu schulen, ist deshalb ein Kernaspekt der medial gestützten Suizidprävention – und dementsprechend auch dieses DFG-Projekts. So sollten Journalist:innen mittels Handreichungen in verantwortungsvoller Suizidberichterstattung weitergebildet und ihnen hilfreiche Mechanismen, Richt- und Orientierungswerte sowie Best-Practice-Beispiele an die Hand gegeben werden. Dies wurde innerhalb dieses Projekts basierend auf vorangestellter Forschung mittels eines kurzen Videos umgesetzt, in dem die wichtigsten Aspekte verantwortungsvoller Suizidberichterstattung für Journalist:innen aufbereitet wurden. Ergänzt wurde dies durch eine textbasierte Handreichung. Beide Materialien wurden den Journalist:innen online, eingebettet in eine Befragung, zur Verfügung gestellt. Dies geschah in einem zweistufigen Verfahren, innerhalb dessen unterschiedlichen Redaktionen bzw. deren Journalist:innen zu zwei verschiedenen Zeitpunkten die entsprechenden Materialien erhielten. Übergeordnetes Ziel war es, dass diese Handreichungen zu einer im Sinne der Richtlinien verbesserten Suizidberichterstattung führen, was die forschungsleitende Frage aufwirft, ob die Handreichungen Einfluss auf die Suizidberichterstattung der teilnehmenden Journalist:innen (bzw. Redaktionen) haben. Dies wurde mittels quantitativer Inhaltsanalyse (N = 4,015 Artikel) überprüft. Dabei wurde die Berichterstattung der Redaktionen vor und nach der Schulung mittels genannter Handreichungen sowie in Gegenüberstellung zur Berichterstattung aus einer Kontrollgruppe an Redaktionen verglichen. Ein signifikanter inhaltlicher Unterschied konnte vor allem für eine verstärkte Einbindung von Informationen zu Hilfsangeboten festgestellt werden – ein Faktor, der den Papageno-Effekt potenziell begünstigt. Zusätzlich wurde in Anlehnung an bestehende Literatur zum Werther- und Papageno-Effekt auch die Entwicklung der Suizide in der Bevölkerung, die in zeitlichem Bezug zum Interventions- bzw. Untersuchungszeitraum erfolgte, als Richtgröße herangezogen. Hier zeigte sich, dass die redaktionelle Intervention mit einer geringfügigen, aber signifikanten Reduktion der Suizidrate einherging, was auf einen Papageno-Effekt hindeutet.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Increasing Adherence to Media Guidelines on Responsible Reporting on Suicide: Suggestions from Qualitative Interviews with German Journalists. Journalism Studies, 21(4), 494-511.
Markiewitz, Antonia; Arendt, Florian & Scherr, Sebastian
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Preventing imitation suicides: Evaluation of media guidelines on responsible reporting on suicide by German journalists. Implications for designing awareness campaigns. Vortrag gehalten auf der European Conference on Health Communication, ECHC 2019, & 4. Jahrestagung der DGPuK- Fachgruppe Gesundheitskommunikation, 13.-15. November 2019, Zürich (CH).
Markiewitz, A., Arendt, F. & Scherr, S.
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Verantwortungsvolle Berichterstattung über Suizide: Ein Forschungsüberblick und konkrete Empfehlungen für die journalistische Praxis. Vortrag gehalten auf den Kommunikationswissenschaftlichen Tagen 2019 der ÖGK, 25.-27. April 2019, Wien.
Arendt, F., Markiewitz, A. & Scherr, S.
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Verantwortungsvolle Berichterstattung über Suizide: Forschungsüberblick und Empfehlungen für die journalistische Praxis. MedienJournal, 44(3), 50–68.
Markiewitz, Antonia; Arendt, Florian & Scherr, Sebastian
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News for life: improving the quality of journalistic news reporting to prevent suicides. Journal of Communication, 73(1), 73-85.
Arendt, Florian; Markiewitz, Antonia & Scherr, Sebastian
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News for life: Improving the quality of journalistic news reporting to prevent suicides. Vortrag, 73. Jahrestagung der International Communications Association (ICA), 25.-29. Mai 2023, Toronto (CAN).
Arendt, F., Markiewitz, A. & Scherr, S.
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Zwischen Information und Sensation. Springer Fachmedien Wiesbaden.
Markiewitz, Antonia
