Parteiwandel vor Ort: Die Enttraditionalisierung der britischen und deutschen Sozialdemokratie aus mikrohistorischer Perspektive
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In zwei Teiluntersuchungen zu Kassel/Frankfurt a.M. sowie dem Londoner Bezirk Tower Hamlets sind die Zusammenhänge zwischen den sozio-ökonomischen Strukturumbrüchen „nach dem Boom“ und der Entwicklung der lokalen sozialdemokratischen Parteiorganisationen untersucht worden. Schwerpunkt dieser mikrogeschichtlichen Studien ist die Veränderung der lokalen Parteiarbeit, insbesondere die Veränderungen in den Beziehungen zwischen Parteiaktivisten, Mitgliedern und Wählergruppen zwischen der Mitte der 1970er und dem Ende der 1990er Jahre. In den beiden hessischen Großstädten verlor die SPD aufgrund der Krise der lokalen Industrien die Mitarbeit und Unterstützung eines Teils ihrer industriellen Stammwählerschaft und musste Wahlniederlagen und Machtverlust hinnehmen. In Tower Hamlets geriet die Partei aufgrund der Parteispaltung Anfang der 1980er Jahre in eine viel größere Krise; die Bindung der wachsenden Gruppe wahlberechtigter bengalischer Zuwanderer an den lokalen Labourabgeordneten Peter Shore sicherte aber der inzwischen tiefgreifend veränderten lokalen Parteiorganisation ein comeback in den 1990er Jahren. Die sozialen Interessenkonflikte und sozio-kulturellen Differenzen zwischen ihren unterschiedlichen lokalen Wählergruppen bestimmten aber für mehr als 15 Jahre das lokale politische Feld und vertieften die Spaltungen innerhalb der Labour Party. Der Vergleich der beiden Teiluntersuchungen macht deutlich, dass zwar die sozio-ökonomischen Umbrüche die traditionellen Grundlagen stabiler sozialdemokratischer Mehrheiten auf kommunaler Ebene auflösten und die traditionelle Industriearbeiterschaft als Basis lokaler Parteiarbeit marginalisierten, die konkreten Verläufe der Repräsentationskrise jedoch in erheblichem Maße von lokalen Bündnissen und Machtkalkülen von Parteiaktivisten und Amtsträgern abhingen. Schließlich erweist sich das Wahlrecht für Zuwanderer (bengalische Zuwanderer in UK) in Verbindung mit dem Mehrheitswahlrecht als entscheidender Unterschied beim Ausgang der Krisen sozialdemokratischer Lokalpolitik in den beiden Untersuchungsräumen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Der Abschied von Klassenkämpfen und festen Sozialstrukturen, in: ders., Jenseits von Kohle und Stahl. Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem boom, Berlin 2019, S.92-142.
Lutz Raphael
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Politische Gewinner und Verlierer der sozialdemokratischen Mobilisierungsarbeit in Frankfurt ab Mitte der 1980er Jahre. Gewinner und Verlierer nach dem Boom, 203-226. Vandenhoeck & Ruprecht.
Meyer, Marc
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Xenophobie und Gegenwehr. Gewinner und Verlierer nach dem Boom, 179-202. Vandenhoeck & Ruprecht.
Kupitz, Timo
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Zwischen Tradition und Moderne. Die Auseinandersetzungen um die Mobilisierungsarbeit der Frankfurter SPD ab Mitte der 1980er Jahre, in: Thorsten Holzhauser, Felix Lieb (Hgg.), Parteien in der „Krise“. Wandel der Parteiendemokratie in den 1980er und 19190er Jahren, Berlin 2021, S. 56-69.
Marc Meyer
