Detailseite
Projekt Druckansicht

Restitution zwischen Erstattungsalltag und Identitätspolitik: Die Rückgabe geraubter Kulturgüter in der Bundesrepublik, Italien und Österreich 1945-1998

Antragstellerin Bianca Gaudenzi, Ph.D.
Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2018 bis 2024
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 388532666
 
Erstellungsjahr 2024

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt untersucht die Geschichte der Rückerstattung geraubter Kulturgüter in Italien, der Bundesrepublik und Österreich vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Unterzeichnung der Washington Declaration in 1998. Als Sozialgeschichte der Restitutionspraxis arbeitet das Projekt den Stellenwert der Rückerstattung für die Herausbildung lokaler und nationaler Identitäten heraus; zudem analysiert es erstmals vergleichend die Bedeutung der Restitution im Prozess der Bewältigung der faschistischen Vergangenheit in allen drei Ländern. Wie das Projekt auf der Grundlage einer Vielzahl von Quellen aus italienischen, österreichischen, deutschen, US-amerikanischen und britischen Archiven zeigt, spielte die Restitution eine zentrale Rolle bei der kathartischen Rekonstruktion der italienischen, österreichischen und bundesdeutschen Gesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg. Insbesondere zwischen der Nachkriegszeit und den späten 1950er Jahren stellte die Restitutionsrhetorik ein äußerst nützliches Mittel dar, um einen sauberen Bruch mit der faschistischen Vergangenheit zu inszenieren und gleichzeitig alle Schuld auf NS-Deutschland (im Falle Italiens und Österreichs) bzw. die NSDAP-Führung (im Falle Westdeutschlands) abzuschieben, um den Staatsapparat sowie die Italiener, Österreicher und Deutschen, die sich aktiv an der Enteignung ihrer Mitbürger beteiligt hatten, zu entlasten. So wurde der Restitutionsprozess zumindest bis Ende der 1960er Jahre nicht selten zu einem Mittel zur Vermeidung der gesellschaftlichen und politischen Aufarbeitung des Holocaust und seiner Folgen. Trotz der erstaunlichen Effizienz der faschistischen und austrofaschistischen Enteignungsapparate wurden die Rechte der rechtmäßigen Eigentümer (bzw. ihrer Erben) jahrzehntelang nicht nur vergessen, sondern manchmal sogar erneut verletzt. Selbst wenn es zu einer Rückgabe an jüdische Bürger oder Gemeinden kam, wurde der Prozess in einigen Fällen zu einem weiteren Akt der Diskriminierung oder des Verlusts, oder diente bestenfalls als Alibi, um den Prozess der Wiedergutmachung auf eine lediglich finanzielle Transaktion ohne soziale oder politische Bedeutung zu reduzieren, eine Transaktion, die sogar in Frage gestellt werden konnte, wie der Fall Hans Deutsch zeigt. Infolgedessen nutzten alle drei Länder zumindest bis in die 1960er Jahre den Restitutionsprozess, um sich von ihrer faschistischen Vergangenheit zu distanzieren, ohne eine gründliche soziale und politische Aufarbeitung zu betreiben oder gegen den fortbestehenden Antisemitismus vorzugehen; Italien ging jedoch einen Schritt weiter: im Italien der Nachkriegszeit wurde die kulturelle Restitution schnell zu einer der zentralen Aspekte der Beschönigung der faschistischen Verbrechen sowie der Konstruktion des Opfermythos, einerseits, aber auch der politischen Nutzung des Kulturerbes für den (Wieder-)Aufbau der nationalen Gemeinschaft durch eine Konzeption des Erbes, die bemerkenswerte Kontinuitäten zu ihrer faschistischen Vorgängerin aufwies. Erst nach dem Ende des Kalten Krieges unternahm das Land erste Schritte zu einer umfassenderen Aufarbeitung der faschistischen Verbrechen. Diese Phase stellte sich jedoch als bemerkenswert kurz heraus.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung