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Restitution zwischen Erstattungsalltag und Identitätspolitik: Die Rückgabe geraubter Kulturgüter in der Bundesrepublik, Italien und Österreich 1945-1998
Antragstellerin
Bianca Gaudenzi, Ph.D.
Fachliche Zuordnung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung
Förderung von 2018 bis 2024
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 388532666
Dieses Projekt untersucht die Praxis der Rückerstattung geraubter Kulturgüter in der Bundesrepublik, in Italien und Österreich vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Unterzeichnung der Washington Declaration in 1998. Als Sozialgeschichte der Restitutionspraxis arbeitet das Projekt den Stellenwert der Rückerstattung für die Herausbildung lokaler, nationaler und europäischer Identitäten heraus; zudem analysiert es erstmals vergleichend die Bedeutung der Restitution im Prozess der Bewältigung der faschistischen Vergangenheit in allen drei Ländern. Mit dem Projekt beabsichtige ich, den Nachweis zu führen, dass die Rückerstattung geraubter Kulturgüter in allen drei postfaschistischen Staaten eine zentrale Rolle in der Neuformierung der jeweiligem nationalen Identität spielte, die sich 1945-1998 vollzog. Dabei konzentriere ich mich primär auf das Wechselspiel zwischen öffentlichen Restitutionsdiskursen, die sich in politischen Reden, Parlamentsdebatten und der Presse abbildeten, und dem Erstattungsalltag, der sich in den Restitutionskommittees, Behörden und Museen sowie vor Gerichten entfaltete.Das Projekt wird anhand von ausgewählten Fallstudien zu drei öffentlichen Sammlungen und drei jüdischen Privatsammlungen durchgeführt, in methodischer Hinsicht greift es Anregungen der histoire croisée sowie der entangled history auf. Vier Quellentypen werden durchgearbeitet: 1) Offizielle Dokumente, anhand deren sich die Erstattungsgesetzgebung und die darüber geführten Debatten erschließen lassen 2) Pressebeiträge 3) Austellungs- und Auktionskataloge 4) Privatnachlässe und Memoiren. Das Projekt fokussiert auf lokale Milieus und Akteure - z. B. Politiker, Journalisten, Kuratoren, rechtmäßige Besitzer - und leistet zugleich eine tiefgreifenden Analyse von Identitätspolitik auf lokaler und nationaler Ebene. Der transnationale Zugriff ist für das Projekt in mehrerlei Hinsicht unerlässlich: Er gestattet es, 1) die Erstattungsprozesse in den Einzelstaaten in breitere transnationale Zusammenhänge einzubetten 2) die Prozesse der Vergangenheitsbewältigung vergleichend zu untersuchen und zu analysieren, welche Kulturkonzepte (lokale, nationale oder europäische) es dem jeweiligen Land erlaubten, sich von seiner faschistischen Vergangenheit abzugrenzen 3) die Wechselabhängigkeiten, Interaktionen und gemeinsame Wendepunkte aufzuzeigen, welche die drei Länder verbinden 4) transnationale Verflechtungen der Rückgabepraxis nachzuweisen und die Rolle zu beleuchten, die jüdische Restitutionsagenturen in der Gestaltung derselben spielten 5) Kontinuitätslinien aufzeigen, die von der Zwischenkriegszeit über den Faschismus bis in die Nachkriegszeit reichen und Personal, Praktiken und die Gesetzgebung betreffen. Indem das Projekt untersucht, in welchem Ausmaß die Rückerstattungspraxis die Konstruktion nationaler und europäischer Identitäten prägte, rekonstruiert es erstmals die transnationale politische Dimension der Restitution von Kulturgütern in Europa zwischen 1945 und 1998.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen