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Competing for sovereignty in cooperative committees: Bioethical debates and the development of a regulatory policy for the life sciences in Germany in the 1980s

Subject Area History of Science
Term from 2017 to 2022
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 316001474
 
Final Report Year 2022

Final Report Abstract

In dem Projekt wurde erstmals historisch umfassend die Rolle der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ (1984-1987) in Hinblick auf die sich in den 1980er Jahren weiträumig formierenden Gentechnologie-Debatten in der Bundesrepublik Deutschland untersucht. Die Diskussionen in der Enquete-Kommission waren prägend für die Gentechnik-Debatten in der Bundesrepublik, deren Notwendigkeit sich aus einer beschleunigten biotechnologischen Entwicklung, einer wachsenden Technikskepsis und Risikodiskussion in verschiedenen (Teil-)Öffentlichkeiten sowie neuartigen ökonomischen Anwendungspotentialen, aber auch ethischen Herausforderungen der Genforschungen ergab. Die Enquete-Kommission stellte einen Kulminationspunkt dieser verschieden gelagerten Diskussionen über Gentechnologie Mitte der 1980er Jahre dar. Akteur*innen aus Wissenschaft, Politik, Industrie, Medizin, Wissenschaftsforschung, Theologie und Gewerkschaften waren an der Kommissionsarbeit beteiligt. Ebenso wurden Bürgerbewegungen einbezogen, die mit der Partei „Die Grünen“ eine Vertretung im Parlament hatten. Ein wichtiges Ergebnis der Projektarbeit ist es, hervorzuheben, dass die kontroversen Positionsfindungen in der Enquete-Kommission historisch nur vor dem weiteren Hintergrund der bereits in den 1970er Jahren stattfindenden Debatten zu Fragen der biologischen Sicherheit im Raum von Wissenschaft und Politik zu verstehen und einzuordnen sind. Als Ergebnis der Projektarbeit lassen sich vier Phasen in der Entwicklung der Gentechnik-Debatten in der Bundesrepublik der 1970er und 1980er Jahre differenzieren: 1. Die zwischen Wissenschaft und Politik geführte Diskussion über Form und Inhalt von Regulation der Gentechnologie (1974-1978); 2. Die zum Teil durch die Richtlinien zum Schutz vor Gefahren durch in-vitro neukombinierte Nukleinsäuren regulierte Gentechnologie in der Bundesrepublik, parallel zum Aufkommen der In-vitro-Fertilisation (1978-1984); 3. Die Arbeit der Benda- und der Enquete-Kommission (1984-1987); 4. Die politische Aufarbeitung der Berichte der Enquete- und der Benda-Kommission in Form des Gentechnik-Gesetzes und des Embryonenschutzgesetzes (1987-1990). Neben Kontinuitäten lässt sich aber auch eine deutliche Zäsur herausstellen: Während in den 1970er Jahren Gentechnik ein Thema war, über das auf politischer Ebene weitgehend das BMFT allein informiert war und andere politische Akteure informiert hat, wurde mit den abschließenden Empfehlungen der Enquete-Kommission 1987 ein Teil der Entscheidungen bzw. Entscheidungsmöglichkeiten an das Parlament weitergegeben. Die Enquete-Kommission knüpfte zwar unmittelbar an die v.a. durch die ZKBS geprägte Laborsicherheitsdiskussion in den 1970er Jahren an, zugleich bekam das Thema durch die seit Ende der 1970er Jahre sich neu abzeichnenden wirtschaftlichen Interessen in der Biotechnologie und Züchtungsforschung aber eine neue Dimension (Problematik der Freisetzungsversuche). Die Aushandlungsprozesse zwischen wissenschaftlichen und ökonomischen Positionen einerseits sowie gesellschaftlichen Werten und Perspektiven andererseits (Sicherheitsaspekte, sich formierende Risikobegriffe, sich formierende Bioethik) wurden im Projekt anhand der Enquete-Kommission und weiteren Kontexten Mitte der 1980er Jahre aufgearbeitet. Dabei wurden die unterschiedlichen epistemischen Einschätzungen zu den Life Sciences und jeweils zugrundeliegende Naturauffassungen, die in verschiedenen Positionen der Akteur*innen deutlich wurden, detailliert herausgearbeitet. Trotz dieser divergierenden Wertsetzungen und Wertekonkurrenz war eine Konsensfindung in der Enquete-Kommission schließlich erstaunlich unproblematisch möglich (mit Ausnahme eines Sondervotums der Repräsentantin der Partei Die Grünen). Diese Konsensfindung wurde auch dadurch erleichtert, dass Themen wie Embryonenforschung und Reproduktionsmedizin ausgeklammert wurden und die Behandlung der Gentechnik am Menschen nur in Hinblick auf Genomanalyse und Gentherapie diskutiert wurde. Damit folgte die Enquete-Kommission einer Argumentationslinie von Biowissenschaftler*innen, die Spekulationen über eine zukünftige „Menschenzüchtung“, die zeitgleich in öffentlichen Debatten und im Raum populärer Medien zirkulierten, heraushalten wollten, und sie hielt sich gleichzeitig an die Arbeitsteilung mit der nur wenige Monate vor ihr eingesetzten „Benda-Kommission“, die sich den rechtlichen Problematiken der Bereiche In-vitro-Fertilisation und künstliche Insemination widmete.

 
 

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