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Konkurrenz um Deutungshoheit in kooperativen Gremien: Bioethische Debatten und politische Regulierung der Lebenswissenschaften (1980er Jahre)
Antragstellerin
Professorin Dr. Christina Brandt
Fachliche Zuordnung
Wissenschaftsgeschichte
Förderung
Förderung von 2017 bis 2022
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 316001474
Das Teilprojekt untersucht aus wissenschaftshistorischer Perspektive die Aushandlung von Deutungshoheit über Entwicklungen und Risiken der modernen Biowissenschaften anhand der in den 1980er Jahren eingesetzten politisch-parlamentarischen Gremien in Westdeutschland. Gegenstand sind die Enquete-Kommission Chancen und Risiken der Gentechnologie (1984 bis 1987), die von den Bundesministerien für Justiz und für Forschung und Technologie eingesetzte Arbeitsgruppe In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie (1984 bis 1985) sowie die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Fortpflanzungsmedizin und Genomanalysen (1986 bis 1988). Diese Kommissionen waren die ersten institutionalisierten Schauplätze der sich formierenden bioethischen Debatten und politischen Regulierungsbemühungen zur Genomforschung, zur Reproduktionsmedizin und zur Biotechnologie in der Bundesrepublik. Das Projekt untersucht an diesen Beispielen, wie die gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen für die weitere Entwicklung in umstrittenen Forschungsfeldern im Dialog zwischen Akteuren aus Wissenschaft, Medizin, (beginnender) Bioethik, Politik und Gesellschaft ausgehandelt wurden. Vor dem Hintergrund eines sich verändernden Verhältnisses von Wissenschaft und Politik seit den 1970er Jahren werden diese Aushandlungsprozesse als vielschichtige Kooperations- und Konkurrenzbeziehungen analysiert: So waren die Debatten einerseits geprägt durch einen polarisierten Wettstreit der Akteure um die politisch-gesellschaftliche Deutungshoheit über die Möglichkeiten und Gefahren der neuen life sciences; andererseits war die Arbeit der genannten Kommissionen darauf ausgerichtet, zur gesellschaftlichen Konsensfindung beizutragen und konkrete politische Handlungsoptionen zu entwickeln. Dieses Spannungsverhältnis von kompetitiven und kooperierenden Diskursstrukturen wird auf drei Ebenen analysiert: Erstens werden anhand der Interaktionsmuster der Akteure die Diskursdynamiken untersucht. Bioethische Argumente und politisch-gesellschaftliche Risikoannahmen standen wissenschaftlichen und ökonomischen Interessen gegenüber. Herauszuarbeiten sind die Mechanismen der erfolgreichen bzw. gescheiterten Konsensfindung. Zweitens wird die historische Spezifik dieser Aushandlungsprozesse im weiteren Kontext der 1980er Jahre analysiert und ihr Beitrag zur Neukonfiguration des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik herausgestellt. Dies geschieht vor dem Hintergrund des Aufstiegs der life sciences zur neuen Leitwissenschaft und der Vervielfältigung wissenschafts- und technikkritikkritischer Diskurse im öffentlichen und medialen Raum. Drittens wird nach der (nationalen) Spezifik dieser Entwicklungen im Vergleich mit den politischen und bioethischen Debatten in den USA und Großbritannien gefragt.
DFG-Verfahren
Forschungsgruppen
Teilprojekt zu
FOR 2553:
Kooperation und Konkurrenz in der Wissenschaft