'Stimmung' zwischen Medizin und Musikästhetik (ca. 1740-1850)
Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Kulturwissenschaft
Geschichte der Philosophie
Wissenschaftsgeschichte
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Verlauf meines Forschungs- und Rückkehrstipendiums konnte ich die Bedeutung des Begriffs der „Stimmung“ – sowie den damit aufs Engste verbundenen Begriff der „Resonanz“ – für die Musikwissenschaft weiterentwickeln und zeigen, wie eng er mit bis heutige gültigen Konzeptualisierungen der sogenannten „emotionalen Wirkung der Musik“ verbunden ist. So wurde im Verlauf der Forschung – u.a. durch Kontakte mit dem Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik – deutlich, welch wichtige Referenzpunkte die hinter den Begriffen stehenden, aus der Medizin und Ästhetik des 18. Jahrhundert stammenden Konzepte insbesondere für Ansätze zum Verständnis der emotionalen Wirkung von Musik darstellen, die (im Gegensatz zu meinem ursprünglich anvisierten Plan) aus dem späten 19., frühen 20. und dem 21. Jahrhundert stammen. Auch wenn sich das medizinische Wissen seit dem 18. Jahrhundert selbstverständich weiterentwickelt hat und schon im frühen 19. Jahrhundert weder die Neurophysiologie noch von schwingenden Nervenfasern ausging noch die aufkommende Psychologie die Idee von „Seelenbewegungen“ noch wörtlich nahm, so findet sich in den Schriften von z.B. Gustav Fechner und Helmuth Plessner bis hin zu Hartmut Rosa ein auffällig ausgeprägter Gebrauch des semantischen Feldes von „Stimmung“, und zwar insbesondere dort, wo es darum geht, den Zusammenhang von Musik und Emotionen konzeptuell zu fassen und sprachlich zu erklären. Wissenschaftliche Fortschritte habe ich mit meiner Forschung demnach vor allem dort gemacht, wo sich Anknüpfungspunkte an diese spätere Konzepte finden ließen. Damit wurde gleichzeitig auch die Frage konfrontiert (und meiner Meinung nach entkräftet), ob musikwissenschaftliche Begriffsgeschichte für die gegenwärtige Forschung zu Musik und Emotionen überhaupt von Relevanz sein kann. Gleichzeitig wurde deutlich, dass für das Aufzeigen dieser Relevanz auch eine Vertiefung und Verzweigung der historischen Grundlagen notwendig ist. Daher habe ich einerseits das Nervenstimmungskonzept der Mediziner im 18. Jahrhundert in anderen Kontexten als den ursprünglich anvisierten nachverfolgt, so z.B. in Beschreibungen und Erklärungen von Erfahrungen, die wir heutzutage als „Immersion“ bezeichnen würden, in Instrumentallehren oder in Erklärungsmustern für den Zusammenhang von Erinnerung und Musik (was etwa bei Fechner „Assoziationsprinzip“ heißt). Andererseits hat sich meine Forschung vertieft mit den Schriften von Medizinern des 18. Jahrhunderts beschäftigt, die ursprünglich nicht im Mittelpunkt der Untersuchung standen, allen voran Richard Browne und Johann August Unzer. Diese Verschiebung fand auch durch Anregungen von außen statt und hat sich, gemeinsam mit meiner Forschung zu Helmuth Plessner, in Beiträgen zum Lexikon Schriften über Musik niedergeschlagen, das vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik herausgegeben wird.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Speicher musikalischen Wissens. Special Issue von Die Tonkunst. Magazin für Klassische Musik und Musikwissenschaft 13/2
Marie Louise Herzfeld-Schild, Evelyn Buyken und Melanie Unseld (eds.)
- „Gespeichertes Wissen zwischen den Disziplinen. Zur emotionalen Wirkung der Musik in Ästhetik und Medizin der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts“. In: Speicher musikalischen Wissens, Special Issue von Die Tonkunst. Magazin für Klassische Musik und Musikwissenschaft 13/2 (2019), hg. von Evelyn Buyken, Marie Louise Herzfeld-Schild und Melanie Unseld, S. 177-184
Marie Louise Herzfeld-Schild
- „Musikalische Immersion. ,Hörend Anwesenheit spüren‘“. In: IMMERSION. Grenzen und Metaphorik des digitalen Subjekts, Special Issue von Navigationen - Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften 19/1 (2019), hg. von Thiemo Breyer und Dawid Kasprowicz, S. 71-88
Marie Louise Herzfeld-Schild
(Siehe online unter https://doi.org/10.25969/mediarep/12596) - „Die Musikalisierung des Menschen. Gedanken-Führung durch Anthropologie, Ästhetik und Musik im 18. Jahrhundert“. In: Ästhetik um 1800 (= Bochumer Quellen und Forschungen zum 18. Jahrhundert 11), hg. von Piroska Balogh and Gergely Fórizs, Hannover: Wehrhahn Verlag, 2020, S. 15-45
Marie Louise Herzfeld-Schild
- „Metapher und Mitvollzug. Zwei Ansätze zum Zusammenhang von Musik und Emotionen bei Plessner“. In: Philosophische Anthropologie als interdisziplinäre Praxis. Max Scheler, Helmuth Plessner und Nicolai Hartmann in Köln – historische und systematische Perspektiven, hg. von Erik Norman Dzwiza-Ohlsen und Andreas Speer Paderborn: mentis, 2021, S. 283-302
Marie Louise Herzfeld-Schild
(Siehe online unter https://doi.org/10.30965/9783969752340_017)