Detailseite
Projekt Druckansicht

Multisensorische kausale Inferenz in kortikalen Hierarchien und ihre Veränderung bei Schizophrenie

Fachliche Zuordnung Klinische Psychiatrie, Psychotherapie und Kinder- und Jugendspychiatrie
Biologische Psychiatrie
Kognitive und systemische Humanneurowissenschaften
Förderung Förderung von 2017 bis 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 390070110
 
Erstellungsjahr 2021

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Menschen nehmen ihre Umwelt multisensorisch wahr, indem sie Reizwahrnehmungen über die Sinnesmodalitäten hinweg aufeinander beziehen. Um eine kohärente und wahrheitsgetreue multisensorischen Wahrnehmung der Umwelt zu bilden, muss unser Gehirn die kausale Struktur der multisensorischen Reize erschließen: Nur bei einer gemeinsamen Ursache sollten die multisensorischen Reize integriert werden, bei unabhängigen Ursachen sollten die Reize getrennt verarbeitet werden. Nach dem Modell der multisensorischen kausalen Inferenz erschließt das Gehirn eine gemeinsame Ursache, wenn die Signale eine kleine räumlich-zeitliche Diskrepanz und eine hohe zeitliche Korrelation aufweisen. Im Fall einer gemeinsamen Ursache werden die Signale gewichtet nach ihrer relativen sensorischen Reliabilität integriert. Signale von unabhängigen Reizquellen werden hingegen segregiert, und der aufgabenrelevante Reiz für ein Verhaltensziel verwendet. In dem Projekt wurde in drei Studien untersucht, wie die visuellen und auditorischen kortikalen Hierarchien sowie der dorsolaterale präfrontale Cortex (dlPFC) des Gehirns die Prozesse der multisensorischen kausalen Inferenz repräsentieren. Da bei Schizophrenie viele Veränderungen der unisensorischen und multisensorischen Wahrnehmung beschrieben sind, die mit einer unterschiedlichen Gewichtung von apriorischen Annahmen und sensorischer Evidenz zusammenhängen könnten, wurde zudem untersucht, ob eine Schizophrenieerkrankung die Prozesse der multisensorischen kausalen Inferenz beeinflusst. In der ersten Studie wurde mittels fMRI und EEG erforscht, wo und wann das Gehirn die Prozesse der multisensorischen kausalen Inferenz repräsentiert. In analogen fMRI und EEG Experimenten wurden gesunden ProbandInnen audiovisuelle räumliche Stimuli präsentiert, die in ihrer räumlichen Disparität und zeitlichen Korrelation variierten. Die ProbandInnen lokalisierten entweder den Ort des visuellen oder des auditorischen Stimulus und berurteilten die kausale Struktur beider Stimuli (gemeinsame vs. unabhängige Ursachen). Die kausalen und Lokalisierungsurteile beider Experimente zeigten, dass die ProbandInnen eine gemeinsame Ursache bei kleiner räumlicher Disparität und hoher zeitlicher Korrelation der Stimuli erschlossen. Die multivariaten Analysen der fMRI und EEG Daten verdeutlichten, dass frühe visuelle Regionen der kortikalen Hierarchie zunächst die räumliche Disparität der audiovisuellen räumlichen Reize enkodierten. Der Intraparietale Sulcus (IPS) repräsentierte die zeitlichen Korrelation der Reize sowie deren Aufgabenrelevanz zu späteren Zeitpunkten der Verarbeitung, wobei die kausale Entscheidung mit Aktivierung im dlPFC korreliert war. Die Ergebnisse stützen vorherige Befunde, die eine verteilte Repräsentation der Prozesse der kausalen Inferenz entlang der kortikalen Hierarchien zeigten. In der zweiten Studie wurde untersucht, ob und zu welchem Zeitpunkt eine TMS Stimulation die neuronale Verarbeitung von audiovisuellen räumlichen Stimuli im dlPFC und im anterioren IPS beeinflusst. Die ProbandInnen wurden mit Dreifachpuls-TMS über dem dlPFC, dem aIPS oder dem Vertex (als Kontrollregion) zu verschiedenen Zeitpunkten der Präsentation von audiovisuellen räumlichen Reizen stimuliert. Die TMS Stimulation beeinflusste weder die Ergebnisse der kausalen Urteile noch der auditorischen Lokalisierungen direkt. Allerdings führte die TMS Stimulation über dem dlPFC und dem aIPS im Vergleich zur Kontrollregion zu veränderten Reaktionszeiten der kausalen Urteile und der auditorischen Lokalisierungen zu späten bzw. frühen Zeitpunkten der TMS Stimulation. Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass neuronale Prozesse des dlPFC und des aIPS gemeinsam eine kausale Rolle bei multisensorischen kausalen Inferenzen spielen, da beide Regionen audiovisuelle räumliche Information für die auditorische Lokalisierung und die kausalen Urteile akkumulieren. In der dritten Studie wurde mittels Psychophysik und EEG untersucht, ob sich multisensorische kausale Inferenzen bei PatientInnen mit Schizophrenie im Vergleich zu gesunden KontrollprobandInnen unterscheiden, da apriorische kausale Annahmen und sensorische kausale Evidenz unterschiedlich gewichten werden. Es zeigte sich, dass beide Gruppen die kausale Struktur von audiovisuell numerischen Stimuli in ähnlicher Weise erschließen, wobei auch die neurophysiologischen Repräsentationen der audiovisuellen Stimuli vergleichbar waren. Die Ergebnisse zeigen, dass multisensorische kausale Inferenzen bei Schizophrenien für abstrakte audiovisuelle Reize intakt sind. Diese Befunde verdeutlichen, dass insbesondere die Positivsymptomatik bei Schizophrenie nicht durch eine generell veränderte Gewichtung von apriorischer Information und sensorischer Evidenz erklärt werden kann. Die Ergebnisse des Projekts vertiefen unser Verständnis, wie insbesondere intraparietale und präfrontale Regionen des Gehirns dazu beitragen, dass unser Gehirn die kausale Struktur unserer Umwelt während multisensorischer Wahrnehmungen erschließt.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2018) The temporal dynamics of the brain’s multisensory causal inferences, 48nd Annual Meeting of the Society for Neuroscience (Neuroscience 2018), San Diego, CA, USA
    Rohe T., Ehlis, A.-C., Noppeney U.
  • (2018) The temporal dynamics of the brain’s multisensory causal inferences, Psychologie und Gehirn, Gießen, Germany
    Rohe T., Ehlis, A.-C., Noppeney U.
  • (2019) Multisensory causal inference is largely intact in psychosis, Psychologie und Gehirn, Dresden, Germany
    Rohe T, Hesse K., Noppeney U., Ehlis, A.-C.
  • (2019). The neural dynamics of hierarchical Bayesian causal inference in multisensory perception. Nature communications 10(1), 1907
    Rohe, T., Ehlis, A.-C., Noppeney U.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1038/s41467-019-09664-2)
  • (2020). Using the past to estimate sensory uncertainty. eLife, 9, e54172
    Beierholm, U., Rohe, T., Ferrari, A., Stegle, O., & Noppeney, U.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.7554/elife.54172)
  • (2021) The temporal correlation and spatial disparity of audiovisual signals inform multisensory causal inferences, Tagung experimentelle arbeitender Psychologen (TeaP), Ulm, Germany
    Rohe T, Krieg A, Ehlis, A.-C.
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung